Die 20-jährige steht mitten auf der Kreuzung der großzügig ausgelegten „Straße der Wiedervereinigung“ und dreht auf einer Metallplatte pausenlos Pirouetten. Als sie ihr bildhübsches Puppengesicht zur Seite wendet und den rot-weiß gestreiften Stab in der rechten Hand mit zackiger Bewegung an ihre Hüfte presst, zieht das einzige Auto weit und breit an ihr vorbei. Die junge Dame ist Verkehrspolizistin in der Hauptstadt des wohl abgeschottetsten und geheimnisvollsten Landes unseres Planeten.

Um es gleich vorwegzunehmen. Bars und Cafes, Shopping Malls oder gar Rockkonzerte sucht der Reisende in Pyongyang vergebens. Es gibt weder Handys noch Internetcafes, geschweige denn die Möglichkeit, einen Nordkoreaner privat kennen zu lernen. Langweilig dürfte es trotzdem nicht werden für denjenigen, der bereit ist, während einer Zeitreise in die Vergangenheit, etwas gänzlich neues zu erleben. Reiseleiter und Parteioffizier begleiten den staunenden Gast von der Ankunft bis zur Abreise und passen auf, dass sich dieser nicht „verläuft“ oder allzu forsch auf die Einheimischen losgeht. Grund hierfür ist, dass das Regime unter Diktator Kim Jong Il keine Kosten und Mühen scheut, um westlichen Einfluss von Land und Leuten fern zu halten. Nichts soll die von Vater Kim Il Sung ins Leben gerufene Juche- (sprich: Dschudsche) Philosophie verwässern, nach der Nordkorea eine völlige Unabhängigkeit vom Ausland und fremder Hilfe anstrebt. Nachdem Bruderstaaten wie Russland und China dem Kapitalismus zum Opfer gefallen sind, sieht sich Nordkorea als letzte Bastion eines unverfälschten Sozialismus, den es zu schützen gilt. Dennoch ist eine Reise durch diesen bizarren Staat möglich, nicht zuletzt weil dringend Devisen benötigt werden.

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Der Triumphbogen von Pyongyang sieht seinem Pariser Pendant in der Tat zum verwechseln ähnlich, aber, so verkündet der Reiseleiter stolz, sei das Französische Modell 3 Meter kleiner. Reisende mit Blick fürs Detail werden sicher auch zur Kenntnis nehmen, dass hier nicht nur Passanten mit Baguette unterm Arm fehlen, sondern auch das gewohnte Verkehrsaufkommen am Arc de Triomph. Pyongyangs Straßen sind wegen des Energie- und Benzinmangels nahezu Autofrei. Ein Traum für diejenigen, die hier gleicher sind als andere Genossen und nicht zu Fuß gehen oder in überfüllten Straßenbahnen zur Arbeit müssen. Andererseits wären die zweibeinigen Verkehrsampeln ohne die gelegentlichen Jeeps und deutschen Luxus-Limousinen wohl arbeitslos.


Einige hundert Meter weiter auf dem Mansudae Hügel steht ER. In Bronze gegossen und in gigantischer Größe grüßt er mit ausladender Geste seine Kinder.
Kim Il Sung ist, obwohl seit 1994 tot, ewiger Präsident des Staates Nordkorea. Wie ein Gott verehrt, weist er auch jetzt noch den Weg und jedwede Errungenschaft des Landes gebührt seiner Liebe zum Volk und Weitsicht. Seine in mehreren Tausend Büchern verfassten Ideen, Vor-Ort-Anweisungen, Gedichte, Dissertationen und Baupläne sind im großen Studienpalast des Volkes zu besichtigen und wurden zusätzlich an vielen Feld- und Straßenrändern in Form von Schrifttafeln und Bildern in Granit gemeißelt. Offiziell lebt und stirbt der Nordkoreaner für Kim Il Sung. Wer bei seinen Begleitern Punkte sammeln will, so heißt es, lege die in Plastik gewickelten Blumen für 5 Euro vor Kim Il Sungs Füßen nieder und verbeuge sich ehrfurchtsvoll. Wer weiß, vielleicht führt diese Geste des Respekts ja dazu, mal da und dort ein Foto machen zu dürfen, das eigentlich nicht auf dem Programm steht. Auch kommunistische Aufpasser haben schließlich keine Augen am Hinterkopf…

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Unzählige Dinge lohnen eine Reise nach Pyongyang, etwa ein Besuch des Kinderpalastes. Junge Schüler üben sich hier nachmittags mit Hingabe in Kalligrafie, Taekwondo, Musik und verschiedenen Wissenschaften. Bei den Fertigkeiten der Kleinen dürfte ein Pisa-Test allenfalls ein müdes Lächeln bei den Koreanischen Pädagogen hervorrufen. Aber von solch einer Studie hat hier sicher noch niemand gehört. Eine Bühnenshow mit Musik und Tanz beschließt die Visite.


Ein Highlight ist die U-Bahn. Einhundert Meter unter der Erde gelegen dient sie zugleich als Atombunker und wurde nach Moskauer Vorbild erbaut. Reich verzierte Wände mit Mosaiken des sozialistischen Realismus schmücken die Stationen. An der Decke hängen Kronleuchter, Werbeplakate gibt es dafür keine. Der Gast darf eine Station mit den aus DDR Beständen stammenden Zügen fahren, alle anderen Abschnitte des Netzes bleiben, wie so vieles – ein Geheimnis. In den Wagons hängen, gleich Nordkoreanischer Wohnungen, je ein Bild von Präsident Kim Il Sung und dem „Lieben Herrn General“, Kim Jong Il.

Kim Jong Il, die „Sonne des 21. Jahrhunderts“, ist Kim Il Sungs Sohn und besetzt lediglich die Positionen des Oberbefehlshabers über die Streitkräfte, sowie die des Generalsekretärs der Partei der Arbeit Koreas. Er soll vor allem westliche Filme, schwedische Blondinen und Cognac lieben. Auf der Titelseite der Pyongyang Times war kürzlich zu lesen: „Kim Jong Il sieht Russische Vorführung und inspiziert Hühner- Farm in Armee-Einheit“.

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Auf dem Friedhof der Märtyrer ist sie endlich da: Die Gelegenheit, zwischen endlos vielen Bronzestatuen gestorbener Kriegs-Helden, mit ein paar Nord-Koreanischen Mädchen zu flirten! In ihren traditionellen Gewändern, mit Kim Il Sung Brosche über dem Herzen, pilgern sie mit ihren Freundinnen oder der Familie an diesen Ort, um den Gefallenen die Ehre zu erweisen. Schüchtern und doch sehr interessiert schauen sie die fremden Leute, die von einem anderen Stern zu kommen scheinen, an. Ein Zuwinken wird mit einem herzlichen Lächeln erwidert. Auch einige Kinder folgen und flüstern sich vergnügt gegenseitig etwas ins Ohr, während sich ihre Eltern sichtlich über die Szene amüsieren. Ist dies die Achse des Bösen?


Das Laufband bewegt sich so langsam vorwärts, das die Minuten in dem hochpolierten Marmorkorridor nicht enden wollen. An der rechten Fensterfront nähert sich unaufhaltsam der Präsidentenpalast, während sich einheitlich gekleidete Gestalten mit ausdruckslosen Gesichtern in die Gegenrichtung bewegen. Nach dem Übertreten einer automatischen Schuhputz-Anlage im Boden, einer Verbeugung vor der Überlebensgroßen Statue, dem ehrfürchtigen Wandeln durch mächtige, mit Gold verzierte Holztüren und dem Durchschreiten einer engen Luftdüsenschleuse, darf der Ausländer in den dunkel beleuchteten Saal eintreten, indem ER liegt. Bei gedämpfter Trauermusik verbeugt sich der Besucher einmal vor und zweimal neben Kim Il Sung. Hier Im Mausoleum wirkt er erstaunlich winzig. Kurz darauf folgt die Besichtigung der über 300 Verdienst-Orden und Doktorwürden, die der große Herr im Laufe seiner Dienstzeit dankend entgegengenommen hat. Gern präsentiert werden auch einige Geschenke, wie etwa der luxuriöse Eisenbahnwagon von Mao Zedong oder liebevoll gepflegte Staatskarossen von Stalin. Beides ist in klimatisierten, gut beleuchteten Marmor-Räumen zu bewundern.

Nachts sieht man die Hand vor Augen kaum, weil es keine Straßenbeleuchtung gibt. In den Häusern brennen, wenn überhaupt, nur Kerzen oder 20 Watt Funzeln. Die im Lichterglanz erstrahlenden Portraits von Kim Il Sung, sowie das Monument zur Gründung der Partei der Arbeit, kommen dafür umso besser zur Geltung. Tagsüber weisen sie den ideologischen Weg und abends den nach Hause.

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Ein Spektakel ohne Gleichen ist das Arirang Massen-Festival im fallschirmförmigen Stadion des 1. Mai, mit einem Fassungsvermögen von 150.000 Zuschauern. Eine Gelegenheit, diese Veranstaltung zu besuchen, darf man sich auf keinen Fall entgehen lassen! Genaugenommen lohnt es alleine schon, hierfür nach Nordkorea zu reisen! Bis zu 100.000 Akteure sollen bei diesem Wahnsinn mitmachen. Viele tausend Menschen, darunter ausgesucht schöne Soldatinnen, tanzen und turnen gleichzeitig synchron.


Die hier dargebotene Perfektion dürfte in unserer Welt höchstens durch Computeranimation zu erreichen sein. Schüler und Studenten sitzen derweil auf der dem Zuschauer gegenüberliegenden Tribüne. Mit Hilfe von Büchern erzeugen sie riesige Bilder, wobei jeder Teilnehmer mit seinem Buch ein „Pixel“ des Gesamtwerks darstellt. Auf Kommando werden die farbigen Buchseiten umgeschlagen und so entstehen aus der Entfernung betrachtet, Gemälde von Landschaften, Schriften und Menschen. Nordkoreaner sagen, es sei das größte Bild weltweit. Und wahrlich, wer hier keine Gänsehaut bekommt, wird durch nichts auf der Welt mehr zu beeindrucken sein.
Oliver Schömburg