Draußen kreischen Möwen, und ein Bauarbeiter flucht laut, während ein unrasierter, aber gepflegter Mann in eine Schale mit Gummitieren greift. Sofort wandert sein Blick, der gerade noch auf seinem riesigen Aquarium ruhte, in Richtung Fenster. Wir sitzen in der Hamburger Hafencity bei Ferryhouse Productions, dem Musik- und Filmlabel von Frank Otto. Der kaut nachdenklich: „Das sind überhaupt keine Hafenarbeiter mehr wie früher, wo geschleppt und getrunken wurde“, sagt er über den Fluchenden. „Heutzutage haben die mehr mit hochkomplexen und computergesteuerten Maschinen zu tun als mit dem Material für das Haus.“ Das „Haus“ ist das Mammutprojekt Elbphilharmonie, das seit Jahr und Tag vor dem Fenster seines Chefbüros Formen annimmt. Beim Wort „Computer“ dreht er sich zu seinem PC um. Er öffnet erste Entwürfe eines seiner aktuellen Projekte. Die Geschäftsführung des Labels reicht ihm nicht. Otto ist Medienunternehmer, Künstler, Musiker und der zweitälteste von fünf Söhnen Werner Ottos, des Gründers der Otto Group mit dem dazugehörigen Otto-Versand, einem Familienunternehmen mit mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz im Jahr.

Und Otto ist Mäzen: Die Entwürfe zeigen die PraHHa Bootschaft, eine alte Kastenschute aus Prag, die Otto gekauft hat und in der Hafencity als Kreativenplattform etablieren möchte. Auf dem Schiff entsteht eine Veranstaltungsfläche für Konzerte, Lesungen, Theater, Tagungen und Partys, außerdem ein Restaurant mit Sonnenterrasse, je eine Galerie für zeitgenössische Kunst und Design sowie Künstlerkabinen. Es ist nicht nur ein kultureller Gegenentwurf zur Elbphilharmonie, es ist ein Geschenk an seine Heimatstadt. Wie auch greencapital.tv, ein Umweltsender anlässlich der Ernennung Hamburgs zur europäische Umwelthauptstadt 2011. Ottos Augen fangen an zu leuchten, sobald er darüber erzählt – ein untrügliches Zeichen dafür, dass er sich wieder in eine Idee, in ein Projekt verliebt hat. Den TV-Sender empfangen ab Ende 2010 eine Million Hamburger über Kabel, alle Inhalte sind aber natürlich auch im Internet abrufbar. Zum Start sind ökologische Beiträge, Reportagen und Diskussionsforen in acht Rubriken geplant, Otto kümmert sich dabei um Partnerschaften für eine langfristige Finanzierung. Er hat Größeres mit greencapital.tv vor: Alle späteren Umwelthauptstädte sollen folgen und sich so zu einem europäischen Fernsehen vernetzen. Mit Ballungsraumsendern hat der 53-Jährige schließlich Erfahrungen: Er gründete Hamburg 1 und rettete TV Berlin aus der Insolvenz.

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Das Denken in großen Dimensionen hat Frank Otto von seinem Vater. Ansonsten betrachtet er die Familienverhältnisse mit gemischten Gefühlen: „Den Namen habe ich so manches Mal verflucht, meist bin ich aber dankbar für ihn, und heute finde ich ihn ganz gut“, sagt er, während er sich einen Kaffee einschenkt und eine Zigarette ansteckt. Wohl auch, weil er ihn einsetzen kann: Es ist immerhin der Name eines der einflussreichsten Unternehmen des Landes. Die Otto Group mit ihren 50 000 Mitarbeitern ist nach Amazon.com der zweitgrößte Online-Händler der Welt.

Um die Geschäfte des Familienunternehmens kümmert sich Frank Otto allerdings nicht, dafür hat sein Vater dessen Brüder Michael und Alexander. „Wir leben in unterschiedlichen Welten“, erklärt er nachdenklich, „aber wir haben einen ausgeprägten Familiensinn. Wer glaubt, wir fünf Brüder wären Rivalen und der Vater so eine Art Übervater, irrt. Wir sind ja nicht bei ,Dallas‘ oder ,Denver-Clan‘.“

Obwohl die Geschichte von Frank Otto drehbuchreif wäre: Trotz seiner Verhältnisse galt er immer als aufmüpfiger, aber respektierter Sonderling, der das Abitur abgebrochen hat, dreimal von Internaten geflogen ist und seinen Zivildienst in einem alternativen Kinderhaus machte. Mit 23 Jahren war Otto Manager der NDW-Rockband City Nord, Hausbesetzer, Demonstrant, Systemkritiker und lebte in einer Kommune. Er bekam 36 Mark Taschengeld im Monat, während seiner Ausbildung zum Restaurator lebte er von 360 Mark Gehalt. Da der Kühlschrank aber zur Monatsmitte immer leer war, zwang ihn die WG schließlich, doch die Familienkarte auszuspielen und sich auszahlen zu lassen. „Aber ich habe meine Familie nie beschädigt“, sagt Otto heute. Das ist ihm wichtig. Sein Vater hat ihn nicht nur toleriert, sondern auch verstanden.

Helfen hat für Frank Otto aber nicht nur etwas mit Geld, mit Kaufen und Sanieren zu tun. Davon hat er als Unternehmer und Sohn zwar reichlich, aber worauf es wirklich ankommt, der entscheidende Unterschied, liegt im Handeln. Und Otto nutzt seinen guten Namen tatsächlich, um Gutes zu tun. „Engagement ist für mich in erster Linie, wenn man was macht, um auch etwas zu bewirken, Ergebnisse zu sehen. Engagement ist aber auch, wenn man Zeit oder Geld für etwas aufbringt oder sich auf andere Weise für etwas einsetzt und dabei auch bereit ist, Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen und persönlichen Einsatz zu zeigen.“

Wie wichtig dieser Einsatz gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ist, in denen vor allem auf kommunaler Ebene immer weniger Geld vorhanden ist, um beispielsweise den laufenden Kulturbetrieb zu erhalten, sieht man nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen deutschen Großstädten. Das Stichwort heißt: Public Private Partnerships. Projekte, für die die Politik nur Geld freimacht, wenn ein großer Teil aus privater Hand dazukommt. In Hamburg kommt es aus seiner Hand.

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Wenn Otto ins Hamburger Rathaus geht, setzt er sich für Bildung, Kunst oder Musik ein. So unterstützt er Projekte, Institutionen und Nachwuchskünstler wie den britischen Singer-Songwriter Ashley Hicklin oder die Heidelberger Reggae-Combo Irie Révoltés. Das liegt aber auch an seinem Gespür für Talente und seiner Erfahrung mit dem Markt: Als Medienunternehmer gründete er den Privatradiosender OK Radio, heute Oldie 95, und ist an Sendern in Sachsen, Schleswig-Holstein, Berlin (Kiss FM) und im Saarland beteiligt. Oder sein aktuelles Formatradio 917 XFM: ein journalistischer Musiksender, der als Scharnier zwischen Musikwirtschaft, Künstlern und den Spielstätten dienen soll. Neben Künstlern engagiert er sich für Kulturstätten, den Erstligisten FC St. Pauli oder die Trinkwasserinitiative Viva Con Agua. Außerdem gründete er die gemeinnützige Initiative Hamburg Leuchtfeuer, eine soziale Einrichtung für schwer kranke und sterbende Menschen.

Doch warum das alles? „Ich helfe gern“, sagt Otto und blickt wieder ins Aquarium zu seinen vielen kleinen Fischen. „Eigentlich müssten sich viel mehr Menschen engagieren. Nicht nur Gelder sammeln, sondern im Kleinen anfangen: sich als Taxifahrer nicht bei mir als Passagier beschweren, wenn nachts rote Ampelphasen zu lang sind, sondern ganz einfach bei der zuständigen Behörde.“ Demonstrieren gehen, wie es gerade in Stuttgart, Hamburg oder München vorgemacht wird. Etwas fordern und sich nicht nur beschweren und zu Hause bleiben.

Nur manchmal würde er sich auch selbst gern zu Hause einschließen und einfach malen. Doch dafür fehlt ihm leider die Zeit, die er in seine Arbeit investiert. In sein Lebenswerk, das am Ende vielleicht fast so groß werden könnte wie das Unternehmen seines Vaters. Nur anders irgendwie.

Jannes Vahl