PRINZ: Warum weigern Sie sich, Schutzgeld zu zahlen?
Conticello: Weil ich ein freier Mensch bin, der niemals irgendeine Form von Sklaverei ertragen könnte.

PRINZ: Dank Ihrer Anzeige und Ihrer Zeugenaussage konnten 2007 drei Schutzgelderpresser verurteilt und inhaftiert werden. Wie wirkte sich das Urteil auf Ihr Privatleben aus?
Conticello: Es hat sich komplett geändert, ich werde rund um die Uhr von den Carabinieri bewacht. Auch meine sozialen Kontakte haben sich verändert. Einige Freunde haben sich von mir abgewendet, andere sind zu meinen Freunden geworden.

PRINZ: Wenn man Ihr derzeitiges Leben betrachtet: Glauben Sie nicht, dass der Preis, den die Unternehmer in diesem Kampf zahlen müssen, sehr hoch ist?
Conticello: Der Preis ist hoch, aber im Vergleich zu dem, was mich erwartet hätte, wenn ich die Bedingungen der Mafia akzeptiert hätte, ist er gering.

PRINZ: Wie hätten diese Bedingungen ausgesehen?
Conticello: Ich hätte zahlen müssen. Ich hätte zwar weiter meiner Arbeit nachgehen können, aber ich wäre ein Sklave der Mafia geworden. Irgenwann hätte ich meinen Betrieb an die Cosa Nostra überschreiben müssen. Ich wäre zu ihrer Marionette geworden – ein Strohmann, der dabei hätte zusehen müssen, wie die Mafia meinen Namen und mein Restaurant dazu benutzt, um schmutziges Geld zu waschen.

PRINZ: Welche Auswirkungen hatte das Gerichtsurteil auf die geschäftliche Lage Ihres Restaurants „Antica Focacceria“?
Conticello: Weil ein Teil meiner Kundschaft aus dem Unternehmertum und aus der mafiosen Politik stammte, ist der Umgang zurückgegangen. Auch einige Mitarbeiter musste ich entlassen, weil sie in die Schutzgelderpressung involviert waren. Die Gäste, die jetzt in mein Restaurant kommen, sind ein ein konsumkritisches Publikum, das sich solidarisch mit meiner Entscheidung erklärt.

PRINZ: Worin bestehen die aktuellen Probleme, ein Restaurant wie die Antica Focacceria zu führen? Gibt es in Ihrem Restaurant heute noch eine Infiltration vonseiten der Mafia?
Conticello: Nein, heute gibt es in meinem Restaurant keine Infiltration durch die Mafia mehr. Aber die Probleme liegen sicherlich auf dem Gebiet der mafiosen Mentalität, wie sie in einigen Teilen der Gesellschaft verankert ist. Aktuell arbeiten wir daran, wieder die Umsätze von einst zu erwirtschaften und die Schulden zu bezahlen, die aus der Erpressung entstanden sind. In diesem Punkt haben wir keine Unterstützung von den Banken erhalten. Wir hoffen aber, dass die vom Staat zugesagten Entschädigungsgelder bald eintreffen werden. Die Carabinieri helfen uns mit ihrer Präsenz, einer erneuten Infiltration durch die Mafia vorzubeugen. Das beruhigt uns.

PRINZ: Sie haben vor Kurzem in Mailand eine neue Focacceria eröffnet. Planen Sie, Sizilien zu verlassen?
Conticello: Schon im Jahre 2005 stand mein Plan, weitere Filialen der Antica Focacceria in der ganzen Welt zu eröffnen. Mailand war nur der Anfang. Dann stoppte die Mafia mein Vorhaben. Später war ich wieder in der Lage, an meinem Expansionsplan zu arbeiten, sodass ich mit der Eröffnung in Mailand 2009 den ersten Teil verwirklichen konnte. Ich habe nicht die Absicht, Sizilien zu verlassen. Ich bin aber Unternehmer, und als solcher ist es richtig, über die Grenzen der eigenen Stadt hinauszugucken.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wann Conticello seine ersten Erfahrungen mit der Mafia gesammelt hat und was er über korrupte Politiker denkt.
PRINZ: Wann genau begannen Ihre persönlichen Erfahrungen mit der Mafia?
Conticello: In meiner Kindheit in Palermo kam es vor, dass ich mit Jungs gespielt habe, die sich später, als ich erwachsen war, als von der Polizei gesuchte oder verurteilte Mafiosi entpuppten. Bis zum Jahr 2001 hatte ich keine direkten „professionellen“ Kontakte zur Cosa Nostra und ihren Vertretern. Seit 1834 wurde mein Restaurant immer von sehr starken Frauen geführt, die es nie zugelassen hätten, sich dem Willen der Mafia zu beugen. Es war übrigens meine Großmutter Ermelinda, die 1990 Anzeige erstattet hat, als die Mafia uns die Schlösser verklebte, um uns auf die Probe zu stellen. Danach hörten die anonymen Anrufe mit den Schutzgeldforderungen auf, die sich damals auf eine Summe von 50.000.000 Lire beliefen. Zwischen 2001 und 2006 hatte ich Kontakt zur Mafia. Sie versuchte, mich langsam in ein Netz zu wickeln, aus dem ich nie wieder herausgekommen wäre. Bevor meine Großmutter starb, hat sie mir noch eine Warnung mit auf den Weg gegeben: „Wenn du ein einziges Mal an die Mafia zahlst, werden sie dir alles wegnehmen und du wirst für immer ihr Sklave sein.“ Ihre Worte haben mir dabei geholfen, die Schutzgeldforderungen zu verweigern und Anzeige gegen die Erpresser zu erstatten.

PRINZ: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation im Kampf gegen die Mafia?
Conticello: Wenn wir die Verhaftungen in der Zeit zwischen der Falcone-Ära bis heute zugrundelegen und besonders die der vergangenen drei Jahre, ist die Situation sicherlich positiv zu bewerten. Endlich beginnen die Leute damit, Anzeige zu erstatten, und es bilden sich immer mehr Anti-Mafia-Vereinigungen, denen es gelingt, große Teile der Bevölkerung zu vereinen. Die Untersuchungen werden professionell geführt und die Prozesse in kurzer Zeit abgewickelt. Nun braucht es nur noch eine entsprechende Politik und Bürokratie…

PRINZ: Sie spielen auf das mafiose Bürgertum an, auf die Verflechtung zwischen Mafia, Politik und Verwaltung. Stellt nicht der Interessenkonflikt das eigentlich größte Problem im Kampf gegen die Mafia dar?
Conticello: Ja, diese Verflechtung bremst das Wachstum. Es ist leider so, dass heute der größte Teil der politischen und bürokratischen Klasse korrupt ist. Dabei spielt die Parteizugehörigkeit keine Rolle. Korrupte Politiker sind sowohl im linken wie im rechten Lager zu finden.

PRINZ: Wo sehen Sie derzeit die größten Probleme im Kampf gegen das Organisierte Verbrechen?
Conticello: In der Tatsache, dass die realen Interessen von Politik und Bürgern nicht zusammengehen, und in einer fehlenden Erziehung zur Legalität in weiten Bereichen unseres Landes.

PRINZ: Welche drei Eigenschaften halten Sie für die wichtigsten in diesem Kampf?
Conticello: Der Wille nach Frieden und Freiheit, einheitliche Arbeitsbedingungen in ganz Europa, Verbesserung der Infrastruktur in den vernachlässigten Gemeinden.

PRINZ: Teilen Sie die Ansicht von Addiopizzo, dass es möglich sei, das System mafioser Macht zu brechen?
Conticello: Ja, das glaube ich. Aber wir befinden uns erst am Anfang eines langen und verschlungenen Weges. Wichtig ist, dass unsere Aufmerksamkeit nie nachlassen darf.

Interview: Maren Preiß