Missbilligend dreht sich Phillip von Senftleben zu einem Anzugträger am Nebentisch um, der gerade sehr engagiert in sein Handy brüllt. Senftleben zeigt im Teesalon des „Ritz-Carlton“ am Potsdamer Platz in Berlin bessere Manieren. Er hat sein Handy einfach ausgeschaltet. Kavalier alter Schule zu sein gehört gewissermaßen zu seinem Erfolgsrezept im Job. Denn der 36-Jährige mit dem detektivisch wirkenden Trenchcoat und der Tweed-Kappe, unter der sich schüchtern eine Halbglatze versteckt, sammelt hauptberuflich die Nummern von wildfremden Frauen am Telefon. In seiner zweiminütigen Radiosendung „Der Flirter“, die auf elf Stationen on air ist, flirtet er sich leidenschaftlich durch die ganze Republik und bringt die – wie er immer mit weichem, gedehnten D sagt – „Damen“ dazu, ihm ihre Privatnummer zu geben. Akademikerinnen ab 40 gehören zu seinen Lieblings-Herausforderungen, denn „meistens klopfen sie dich ganz genau ab“. Das Balzgespräch mit Mädchen um die 20 findet der studierte Jurist hingegen oft schwierig: „Jüngere Damen sind manchmal so was von kultur- und interesselos. Da kommt man nur mit Frechheit weiter“, sagt der Wahlberliner und fügt hinzu, „mit niedlicher Frechheit.“ Viele seiner Telefon-Trophäen kleben als gelbe Post-it-Zettel an seiner Pinnwand im Studio. In seinen Regalen liegen Branchenverzeichnisse aus Hamburg, Köln, München oder Bremen. Sein Arbeitsmaterial: Die Nummern darin dienen ihm als Inspirationsquelle, denn schließlich muss sich Senftleben einen „Plot“ überlegen oder eine „sanfte Lüge, die niemanden verletzt“, wie er selbst sagt, um mit den Frauen ins Gespräch zu kommen. „Wenn ich eine Hebamme anrufe, sage ich zu ihr, ich wollte eigentlich eine Hebebühne mieten“, sagt er. „Damit habe ich einen Gesprächseinstieg, denn sie lacht darüber.“ So plump dieses Beispiel wirkt, es funktioniert.

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Mehr als 1000 Nummern mit den dazugehörigen Namen hat der selbst ernannte „George Clooney für Arme“ in den vergangenen drei Jahren gesammelt. Man könnte meinen, ein Platz im „Guinness-Buch der Rekorde“ als Extrem- Flirter sei ihm sicher. Dass ihm die Frauen am Telefon irgendwann aus der Hand fressen, liegt nicht nur an seiner wohltuend tiefen Telefonstimme, die ein wenig an John Wayne erinnert. Oder an seinem Sinn für Humor. Oder daran, dass Senftleben, auch genannt „Prinzi“, sich selbst nicht allzu ernst nimmt und immer noch den kleinen Jungen im Mann auslebt. Sein Erfolg bei Frauen hat auch etwas mit seinem vielseitigen Themenrepertoire zu tun, angefangen von klassischer Musik bis zu Oldtimern über Filmgeschichte, mit dem er bei vielen Frauen punkten kann. „Ich habe vielleicht eine ganz passable Allgemeinbildung“, meint Senftleben mit etwas koketter Bescheidenheit und fügt hinzu: „Im Jurastudium habe ich aber auch das Bluffen gelernt.Wenn sie mir von einem Kabarettisten erzählt, den ich nicht kenne, dann schwenke ich sehr schnell auf den mir bekannten Hanns Dieter Hüsch um. Und verkaufe ihr damit meine Sensibilität für Kabarett und Worte.“ Worte sind Senftlebens Waffe. Sein Allzweckmittel im Werben um jede Frau. Nicht nur am Telefon. Sein Wissen um die Macht der Worte vermittelt er auch den Teilnehmern in seinen Flirt-Seminaren für Frauen und Männer, die er neben seiner Arbeit als Radio-Flirter veranstaltet. Sein Kurs setzt sich aus „50 Mosaiksteinchen“ des erfolgreichen Verführens zusammen. Der passionierte Autodidakt lehrt die Männer beispielsweise, wie sie sich eine sexy dunkle Stimme antrainieren können. „Tiefe Stimmen sprechen bei Männern für einen symmetrischen Kehlkopf und damit für ein gesundes Genom“, sagt er. „Bei der Partnerwahl spielt so etwas unterbewusst eine Rolle.“

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Und bestimmte Techniken können helfen, eine hohe Fistelstimme zu verdunkeln. „Man nimmt einen Text und ersetzt jedes A durch ein U. Dann liest man ihn sich laut vor. Die Stimme wird automatisch runder und tiefer“, erklärt Senftleben.
Ein zweiter Trick vom Stimmprofi: „Man stimmt einen Ton an, zunächst ganz hoch, und lässt die Stimme dann immer tiefer werden. Auf dem tiefsten Klang verharrt man einen Moment. Und dann beginnt man, darauf Wörter zu bilden.“ Das „Vernünftig mit Worten arbeiten“-Mosaiksteinchen ist die nächste Trainingseinheit. Der erste Spruch gegenüber einer attraktiven Frau darf nicht auswendig gelernt klingen und will daher geübt werden. „Die Seminarteilnehmer sollen sich ,Opener‘ – Eröffnungssprüche – überlegen, die ihre Persönlichkeit widerspiegeln“, sagt der Flirt-Experte. Dabei dürfen sich die Männer ruhig Zeit nehmen, darüber nachzudenken, was sie sagen. Denn die Zeit ist Senftlebens Meinung nach immer auf der Seite des Flirters. In der Warteschlange einer Supermarktkasse etwa, noch fünf sichere Einkaufswagen vom Flirt-Ziel, der Kassiererin, entfernt. In der Weihnachtszeit hat Senftleben hier selbst schon folgenden rhetorischen Kniff erfolgreich angewendet: „Wenn die Dame sagt: ,Schönen Advent noch‘, dann sage ich nur: ,Ohne Sie wird das wohl nichts.‘“ Völlig nebensächlich ist dabei für Senftleben, ob es sich beim Flirt-Terrain um einen Supermarkt oder um eine Bar handelt.“Es gibt keinen flirtfreien Ort, das ist ja das Wunderbare daran“, sagt er.Nur Diskotheken ermüden seine persönliche Flirt-Energie, denn dort kann er sein rhetorisches Talent nicht gut genug an die Frau bringen. „Da spielen Äußerlichkeiten eine zu große Rolle. Ich muss viel zu sehr rumschreien, wenn ich dort mit verbalen Feinheiten punkten will“, sagt er. Feinheiten etwa wie Komplimente, die es – wenn es nach Senftleben geht – überhaupt nicht gibt. „Komplimente sind immer konnotiert mit Schleimerei und Schönreden. Ich mache nie Komplimente, ich stelle immer nur Wahrheiten fest.“ Und Wahrheiten sind bei Senftleben nicht platte Allerweltssprüche wie „Sie haben ja so schöne Augen“, sondern elegante Tatsachen wie etwa „Ihr Haar hat denselben Farbton wie Herbstlaub“.

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Ein anderer „Königsweg des Flirtens“ ist für Senftleben die charmante Provokation. „Eine kluge Frau so zu irritieren, dass sie gar nicht weiß, ob sie gerade ein Kompliment bekommen hat oder nicht“, erklärt er. Sein Lieblingsbeispiel ist seine Zahnärztin in Berlin, deren Verkaufsmonolog über Prophylaxe er mit folgenden Worten abwürgte. „Sie haben grüne Augen.“ Daraufhin redete sie weiter, dachte aber natürlich die ganze Zeit darüber nach. „Bei der Verabschiedung bezog sie sich auf meinen Satz und sagte: ,Sie haben blaue Augen‘“, erzählt Senftleben sichtlich vergnügt. Ein weiterer Teil der Irritationspraxis besteht für den modernen Don Juan darin, das Lachen erst mal in den Sparstrumpf zu stecken. „Im Gespräch sollte man mit dem Lachen haushal-ten und es erst nach einiger Zeit zeigen. Dann ist es wie ein Geschenk“, sagt er. „Die Frau fragt sich: Hey, flirtet der gerade mit mir oder nicht?“

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Und dann der Trick mit dem Telefonjoker: Viele Männer haben Scheu vor eher anstrengenden Flirt-Konstellationen, beispielsweise wenn zwei hübsche Frauen miteinander an der Bar stehen – in dieser Situation brauche man einen Komplizen am Telefon, einen Telefonjoker. „Ich verstricke eine der Damen oder beide in eine kleine Hilfeleistung“, erklärt Senftleben. „Entschuldige, kannst du mir helfen. Ich habe hier einen Freund am Telefon, der mit mir um 100 Euro wettet, dass er allein an der Stimme sofort die Haarfarbe jeder Frau erkennt.“ Klappt der Trick, involviert er die Frau in ein Gespräch und hakt sich darin fest, sobald er irgendetwas Persönliches von ihr erfährt. Reagieren die Frauen abweisend, geht für Senftleben die Welt aber auch nicht unter. „Emotionslosigkeit kann man sich antrainieren. Für den Moment muss man sich kalt machen. Sonst leidet man, weil man jede Abfuhr zu persönlich nimmt“, meint er. Im Endeffekt kann der gut trainierte Flirter jedoch gar nicht verlieren. „Wenn du es zu deinem Lebensmotto machst, zwanzig Mal am Tag sanft zu flirten, dann hast du bis zum Abend vier angenehme Kontakte.“ Und vielleicht damit auch vier Telefonnummern. Die gar nicht so schwer erarbeitet werden müssen, wenn es nach Senftleben geht. Man solle die Frau beim Abschluss eines Flirtgesprächs einfach nur aus der Reserve locken. „Ich kann beispielsweise Zeitmangel vortäuschen. Indem ich sage: ,Du, ich muss jetzt los.‘ Wenn sie mich wiedersehen will, kommt von ihr selbst der Impuls, nach der Nummer zu fragen.“ Wenn der Flirt nicht bei einer Telefonnummer endet, sondern bei einem Kuss, gibt Senftleben den Männern folgende Empfehlung: „Beim ersten Kuss umgreife ich den Unterkiefer und den Hals einer Frau, so wie eine Raubkatze, die ihre Opfer packt“, sagt er. „So hat man sie auf charmante Weise in seiner Gewalt. Das ist ein unglaublich tiefgreifendes sexuelles Moment.“ Eine Frau nur aufzureißen und abzuschleppen ist aber nicht das Ziel, das Senftleben in seinen Kursen vermitteln will. „Das klingt jetzt etwas zu pathetisch, aber ich freue mich, wenn ich durch meine Seminare ein bisschen Liebe in die Welt gebracht habe.“

Bettina Hensel

„FLIRTEN IST EIN SCHLÜSSEL ZU JEDER FORM VON ERFOLG: BEI FRAUEN, BEI MÄNNERN UND IM GESCHÄFTSLEBEN“

Phillip von Senftleben, 36, studierte Jura in Hannover und Berlin. Nebenbei arbeitete er als freier Journalist, Filmkritiker und Drehbuchautor.
Seit 2005 lebt er nur noch für seine Passion: Flirten. Er gibt Flirt-Seminare und ist bundesweit mit seiner Radioshow „Der Flirter“ zu hören