So leben? Nein, danke! Das muss dann doch nicht sein. „Ich bewundere Amy Winehouse für ihre Stimme, ihre Songs und ihren Erfolg“, sagt Adele Adkins. „Aber ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass mein Leben so aus den Fugen gerät wie das von Amy.“ Klar sei sie auch schon besoffen gewesen. Aber nicht so. Und nicht in aller Öffentlichkeit. „Ich fände es megapeinlich, wenn ich aus einer Kneipe torkeln würde und das Bild dann am nächsten Tag in jeder Zeitung gedruckt wird. Außerdem wären meine Eltern sauer.“

Auch Duffy, die als Künstlerin ohne ihren Vornamen Aimee auskommt, spart nicht an bewundernden Worten über die berühmte Kollegin. „Amy macht das grandios. Dieser geile Sixties-Style und ihr Wahnsinnssoul in der Stimme sind einmalig. Was allerdings ihren Lebensstil angeht, so ist sie kein Vorbild für mich.“ Duffy mag Alkohol überhaupt nicht, Ausnahme: Eierlikör. „Aber davon kann man ja keine drei Flaschen trinken.“ Geraucht hat sie einmal mit 13 und dann nie wieder. So viel ist klar: In puncto ungesunder Lebensführung sind Aimee Duffy und Adele Adkins meilenweit von Frau Winehouse entfernt.

Musikalisch sieht die Sache freilich anders aus. Duffy und Adele rütteln am Amy-Thron. Die zwei sind in diesem Jahr die beiden am heißesten gehandelten Sängerinnen Englands. Mit ihrem Debütalbum „19“, das so heißt, weil Adele gerade so alt ist, stand das üppige Mädel aus Tottenham bei London im Januar an der Spitze der britischen Albumcharts. Duffy, die vor 23 Jahren im walisischen Küstendorf Nefyn zur Welt kam, gelang das gleiche Kunststück mit ihrer ersten Platte „Rockferry“. Der Stil der beiden Sängerinnen ist ähnlich: Sie machen souligen Retro-Pop, vermischen ihre Lieder mit Funk, Jazz und Folk und erinnern an alte Zeiten. An Etta James, an Ella Fitzgerald, an Dusty Springfield. Beide waren vor einem Jahr noch unbekannt. Beide sind nun echte Stars. Und beide hören sich halt an wie Amy Winehouse. Das kann doch kein Zufall sein? Ist es auch nicht.

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Indierockjungsbands sind auf der Insel seit einiger Zeit abgemeldet. Alles dreht sich in England nur noch um junge Frauen, die selbst komponierte Lieder mit kräftiger Stimme vortragen und möglichst noch ein Instrument dazu spielen. „Machen wir uns nichts vor“, sagt Adele und zuckt mit den Schultern. „Mein schneller Aufstieg hat sehr viel mit Timing zu tun. Es hätte gut und gerne anders laufen können, und ich wäre 30 Jahre lang in Kneipen aufgetreten und nie entdeckt worden.“ Aber dann kam eben Amy Winehouse mit ihrem grandiosen Album „Back To Black“. Fast zwei Millionen Mal hat sich das Werk allein in Großbritannien verkauft. Auch bei uns und in vielen anderen Ländern stand die 24-jährige Drogenexpertin aus Camden an der Spitze. Jüngst bekam sie fünf Grammy Awards. Mehr Erfolg geht nicht.

Auch Duffy macht sich keine Illusionen: „Ich bin zur richtigen Zeit mit der richtigen Musik am richtigen Platz.“ Aber das ist ja nicht ihre Schuld. Duffy fing mit 15 an zu singen, in einer walisischen TV-Castingshow wurde sie einst Zweite. An ihrem ersten Album feilte sie fast vier Jahre. Hype hin oder her: Unverdient ist der Erfolg für die Winehouse-Herausforderinnen nicht. Sowohl „Rockferry“ als auch „19“ sind erstklassige Alben. Abwechslungsreich, gefühlvoll und mit viel Leidenschaft von zwei erfrischend natürlichen und unkompliziert wirkenden Frauen gesungen. „Ich hätte so oder so Musik gemacht“, beteuert Duffy, die auch optisch an die Sechziger erinnert. „Aber jetzt geht alles viel schneller. Ich surfe auf einer Welle, die irgendwann ihren Höhepunkt erreichen wird.“ Bis das passiert und ein anderer Trend durchs Dorf getrieben wird, springen wir gerne mit ins Wasser.

Steffen Rüth