Bremen-Nord – kurz einfach nur Nord genannt – ist ein Ort der Gegensätze. Gepflegter Tagestourismus und das „Häuschen im Grünen“ können täuschen, denn hier geht’s mitunter ein bisschen rauer zu: Die Kontrolleure sind öfter in den Bussen unterwegs. Lange gefackelt wird nicht, am Tresen fliegt schon mal ein Aschenbecher als Argument. Inzwischen allerdings immer seltener, statttdessen etabliert sich wirklich Kultur: Im Kito beispielsweise, dem alten umgebauten Packhaus „Kistentod“, finden regelmäßig Blues-, Jazz- und Rockkonzerte statt. Weniger gediegen, aber schön schräg bis trashig präsentieren sich die Theaterinszenierungen im Kulturbahnhof, kurz Kuba. Bremen- Nord, das ist nicht irgendein Ortsteil, das ist der maritime Teil Bremens. Vegesack ist das Zentrum dieses Stadtteils, zu dem Burglesum und Blumenthal gehören. Von hier aus nahmen Walfänger Kurs auf Grönland, woran heute noch der Walkiefer vor dem 350 Jahre alten Havenhaus erinnert. In Vegesack, das den ältesten künstlichen Hafen Deutschlands beherbergt, war einst die größte Heringsflotte Europas zu Hause.

Hier schlug die Geburtsstunde der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger, hier wurden jahrhundertelang Schiffe aller Größenordnungen gebaut. Wir starten mit dem Stadtteilcheck auf halber Strecke in Burglesum beim Oldtimer Kontor. Hier reihen sich die chromblitzenden Old- und Youngtimer wie Perlen auf der Schnur. Auch alles, was pimpt – Elvis-Sonnenbrille, Pomade, T-Shirts und Aufkleber – liegt in der Vitrine. „Nord war mal die Hochburg der Rockabilly- Szene, die ist aber heute weniger ausgeprägt“, erklärt Simon Göbel. „Für manche ist es nur eine Modesache, für andere eine Lebensphilosophie. Und was man nicht vergessen darf: Nord hat seit der Vulkanpleite ordentlich Federn gelassen.“ Das hören wir noch desöfteren auf unserer Tour. Fakt ist, dass die glorreichen maritimen Zeiten nur noch touristische Folklore sind, obgleich sich das Leben immer noch an der Weser abspielt.

Im Sommer ist hier am Vegesacker Hafen, am Utkiek und an der Promenade, die Hölle los. Launisches Aprilwetter treibt die Norder allerdings eher ins Haven Höövt. Das Shoppingcenter ist einem Ozeandampfer nachempfunden und beeindruckt mit einem gläsernen Bug, der mehrstöckigen Rotunde. Traf man sich früher in der Fußgängerzone, ist heute das Höövt der Placeto- be.

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Am historischen Hafen lässt sich die Mittagspause prima verbringen, wie Daniela Simon und Susann König bestätigen. Die beiden sind Norder Originale, würden sich hier nie wegbewegen und genießen ihre freie Stunde. Am Utkiek vor dem legendären Fährhaus ist hingegen Totentanz angesagt. Nur ein paar Touris füttern die Möwen. Falsche Zeit am richtigen Ort, denn hier trifft sich immer noch die Szene, die sich ein bisschen subversiv gibt. Nicht subversiv, aber skurril ist das Angelzentrum in Aumund. „Zu uns kommen die Leute sogar aus Hannover und Minden“, sagt Inhaber Ralph Jähnke stolz. Nicht nur, um exzellenten Fisch zu kaufen oder im Restaurant „Der Forellenfischer“ zu speisen, sondern auch um in den drei Teichen zu angeln. Ebenfalls kurios ist der neue Hausanstrich des Pinökel. Das freistehende Jugendstilgebäude leuchtet in Beck’s- Grün. „Wir mussten erstmal renovieren und haben eine Brauerei gefunden, die uns sponsert“, grinst Kirstin Fennekohl, die zusammen mit Alice Burlager die urige Kneipe betreibt.

Drinnen hat sich kaum etwas verändert: Kicker, Flipper, kleine Musikbühne und die von langen Nächten gezeichnete Theke. Auch das Pinökel ist eine echte Norder Institution. „Hier geben sich die Generationen die Klinke in die Hand, und momentan findet wieder ein Wechsel statt. Viele Abiturienten, Jung-Studenten und Leute von der Jacobs-Uni sind unsere Gäste.“ Zurück in Richtung City machen wir noch einen Abstecher bei Mama Leone. Der Italiener genießt Kultstatus: bei „Mama“ ist immer was los, und das seit 20 Jahren. Genauso wirkt auch das plüschige Interieur mit rustikaler Einrichtung und Holzvertäfelung. Die Wände zieren Klischees von Bella Italia – vom Fischernetz über Fotos von Cinque Terre und der Familie bis zum Papst-Bildnis. Fazit unserer Rundtour: die coolen Plätze verteilen sich in Bremen-Nord wie Flecken auf einem Leopardenfell, der Rest ist beige.