Tor, Tor, Tor! Schnurgerade schlägt der Ball im linken oberen Eck ein, keine Chance für den Keeper. Wie bei solchen Gelegenheiten typisch für Miro Klose, rennt er in Richtung Seitenauslinie, springt beherzt ab, vollführt einen Salto und landet mit beiden Füßen sicher auf dem Tresen der Eckkneipe.

„Einfach Weltklasse“, jubelt Volker und schlägt in seiner Euphorie seinem Kumpel Frank fast die etwas sperrig aussehende 3-D-Brille von der Nase. Dank der Augmented-Reality-Funktion (zu deutsch: erweiterte Realität), die Volker zugeschaltet hat und die ihn ständig mit Hintergrundinformationen zum Geschehen versorgt, kontert er trocken: „Das war laut bundesliga.de Miros fünfte Saltoeinlage in dieser Saison. Bei sechs Treffern. Es kann nicht mehr lange dauern, bis er sich dabei wieder verletzt.“

Wenn es nach dem Willen der Hersteller von Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik geht, werden solche Szenen schon in wenigen Jahren Normalität sein. Die Technikbranche bewegen momentan zwei Trends, die sich unter einen Hut bringen lassen: Das, was wir mit unseren Augen bisher gesehen haben, soll uns bald nicht mehr genügen. Das Fernsehbild soll uns künftig dreidimensional erreichen, die Bildschirme von Handys und anderen Geräten die Welt vor uns mit zusätzlichen Daten anreichern. Es geht um ein Mehr. Wir sollen beim Fernsehen mehr Emotionen erfahren, beim Betrachten der Umwelt mehr Information erhalten, beim Spielen mehr Spaß haben. Kurz: Wir sollen mehr sehen. Und vor allem sollen wir wieder mehr kaufen, denn die Geräte, die wir bisher verwendeten, machen gegenüber der neuen Technik schlapp. Es muss ein 3-D-fähiger Fernseher her, ein ebensolcher Blu-ray-Player, die passenden Brillen, eine neue Spielkonsole und ein geeignetes Smartphone.

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Es stellen sich zwei Fragen: Soll man jetzt zuschlagen oder lieber noch abwarten? Und vor allem: Haben 3-D und Augmented Reality das Potenzial, sich dauerhaft durchzusetzen, um mehr als eine beeindruckende Spielerei zu sein?

Die Geräte für die neuen Technologien sind bereits erhältlich, die Branche erhofft sich Großes von ihnen. Für das Weihnachtsgeschäft rechnet sie damit, 3-D-taugliche Fernseher in einer sechsstelligen Stückzahl abzusetzen – allein in Deutschland. Einer Studie des Branchenverbands Bitkom zufolge planen 16 Millionen Deutsche, sich irgendwann einen 3-D-Fernseher zu kaufen – doch noch wollen die meisten abwarten, zumal erst in den vergangenen Jahren viele Kunden ihren alten Röhrenfernseher gegen ein Flachbildgerät ausgetauscht haben. Allerdings darf man vermuten, dass die Träume der Branche nicht einmal zu hoch gegriffen sind: Die Technik wird im Laufe der Zeit immer billiger werden. In einigen Jahren werden neue Geräte wie selbstverständlich mit 3-D-Fähigkeiten versehen sein. Dabei setzen die Hersteller momentan eine Vielzahl verschiedener 3-D-Technologien ein, eine Art Standard scheint nicht in Sicht.Der grundlegende Ansatz ist dabei naturgemäß das gleiche: Jedes Auge des Betrachters muss dasselbe Bild jeweils leicht versetzt empfangen. Unser Gehirn erkennt das Doppelbild als dreidimensionales Motiv. Dazu nutzen die Hersteller verschiedene Verfahren: Die meisten Fernseher zeigen abwechselnd das Bild für das eine und dann das für das andere Auge, eine sogenannte Shutter-Brille auf der Nase des Betrachters dunkelt im Gegentakt ein Auge ab. Das geschieht so schnell, nämlich pro Auge 60-mal in der Sekunde, dass das Gehirn das Hin und Her nicht bemerkt und ein zusammenhängendes, dreidimensionales Bild erkennt.

Ein anderes Verfahren arbeitet damit, das vom Fernseher abgestrahlte Licht zu polarisieren, es also in seiner wellenförmigen Ausbreitung zu beeinflussen. Die 3-D-Brille besteht dann aus zwei unterschiedlichen Gläsern, deren Filter nur das Licht durchlässt, das für das betreffende Auge polarisiert ist.

Auch Techniken, die ganz ohne Brille auskommen, existieren. Die besten Ergebnisse bringen aber Geräte mit Shutter-Brillen. Sie erlauben bereits jetzt beeindruckend echt wirkende 3-D-Bilder. Ob sich von diesen verschiedenen Verfahren am Ende eines bei den 3-D-Fernsehern durchsetzen wird, kann dem Käufer im Grunde egal sein: Alle 3-D-Varianten können die Signale von Blu-ray-Discs oder Fernsehsendern empfangen und räumlich umsetzen. Insofern besteht nicht die Gefahr, dass man auf das falsche Pferd setzt und am Ende mit einem nutzlosen Gerät dasteht, wie es vor wenigen Jahren beim Formatkrieg Blu-ray gegen HD-DVD der Fall war.

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Vom großen dreidimensionalen Fernsehspaß sind wir ohnehin noch weit entfernt. Das Hauptproblem liegt in der Produktion von Fernsehsendungen für die neue Technologie. Das Phänomen kommt einem bekannt vor: Nach der Einführung von HD-Fernsehern dauerte es mehrere Jahre, bis hochaufgelöste Fernsehsendungen keinen ausgesprochenen Seltenheitswert mehr hatten – und es gibt keinen Grund zu glauben, dass dies bei der neuen Technik anders sein wird. 3-D-Fern-sehen muss eigens produziert werden, ein teures und aufwendiges Verfahren. Will man etwa eine Sportveranstaltung übertragen, braucht man für das dreidimensionale Bild eigene Kamerateams. Diese werden kaum die besten Plätze am Spielfeldrand belegen, denn die werden vorerst den Teams für die wesentlich weiter verbreiteten zweidimensionalen Bilder vorbehalten sein. Anschließend muss das Bild von Computern zusammengesetzt werden, was dazu führt, dass es erst mit einer beachtlichen Verspätung gesendet wird – von Livefernsehen kann hier zunächst keine Rede mehr sein.

Vermutlich ist dies auch kaum tragisch, denn das Nebenbei-Medium Fernsehen bietet eh wenige Inhalte, die unbedingt dreidimensional genossen werden wollen. Wegen der „Tagesschau“, „Two And A Half Men“ oder des Sonntags-„Tatort“ wird sich kaum jemand eine 3-D-Brille aufsetzen wollen. 3-D wird für längere Zeit vor allem eine Technologie für Filme auf Blu-ray-Disc bleiben.

Wer sich erst in den vergangenen drei Jahren einen neuen HD-Fernseher gekauft hat, tut daher sicher gut daran, noch etwas Zeit verstreichen zu lassen, bis 3-D auch im Fernsehprogramm so etwas wie Normalität geworden ist. Wer sich aber ohnehin einen neuen Fernseher zulegen möchte, für den ist ein 3-D-fähiges Gerät eine sinnvolle Option. Zum einen wäre dies eine Investition in die Zukunft, zum anderen sind 40-Zoll-Fernseher mit 3-D-Fähigkeit heute bereits für knapp unter 1000 Euro zu haben.

Anders als dreidimensionales Film- und Fernsehvergnügen ist Augmented Reality keine Technologie, die erst neu entwickelt werden muss. Sie lebt vor allem davon, dass Technologien miteinander kombiniert werden, die immer selbstverständlicher werden. Moderne Smartphones verfügen über Kamera, Internetzugang, WLAN, GPS und ein großes Display. Insofern ist es technisch längst keine Herausforderung mehr, das von der Kamera erfasste Bild auf dem Display anzuzeigen, den GPS-Empfänger den Standort des Handys ermitteln zu lassen und dann automatisch aus dem Internet ortsbezogene Daten einzublenden. Anwendungen gibt es entsprechend für alle möglichen Bedürfnisse: Stadtführer verweisen im Kamerabild auf Sehenswürdigkeiten oder Restaurants.

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AR-Spiele verwandeln das Wohnzimmer oder den Schreibtisch in ein Schlachtfeld, auf dem virtuelle Figuren Kämpfe austragen. Romantische Naturen lassen sich den Sternenhimmel oder die Flora und Fauna bei einem sonntäglichen Ausflug erklären.

War es vor drei Jahren das iPhone, das den Augmented-Reality-Anwendungen zum Durchbruch verhalf, befindet sich seit etwa einem Jahr Googles Betriebssystem Android auf einem Siegeszug, der wohl so bald nicht aufzuhalten sein wird. Androids Vorteil: Das System läuft auf einer Vielzahl von Smartphones, dadurch entsteht eine Konkurrenz unter den Herstellern, von der der Kunde pro-fitiert. Außerdem lassen sich diese Telefone auch mit Tarifen nutzen, die deutlich günstiger sind als die iPhone-Verträge der Telekom.

Immer mehr Geräte, nicht nur Smartphones, unterstützen AR-Anwendungen. Tablet-Computer, sogenannte Pads, bieten wesentlich größere Bildschirme und somit mehr Komfort beim Betrachten der „erweiterten Wirklichkeit“. Hier hat Apples iPad mangels Kamera klar das Nachsehen gegenüber Geräten wie Samsungs Galaxy Tab oder Dells Streak. Auf lange Sicht ist ohne Weiteres denkbar, dass Augmented-Reality-Anwendungen ihre Daten auch auf andere Oberflächen projizieren, etwa Navigationsdaten auf die Windschutzscheibe eines Autos oder Informationen aller Art auf die eingangs erwähnte 3-D-Brille. Letztere Idee ist immerhin mindestens so alt wie der „Terminator“.

Fazit: Trend oder Hype?
3-D und Augmented Reality – beides sind technologische Trends, die sich mittel- bis langfristig zu selbstverständlichen Bestandteilen unseres Alltags entwickeln werden. Während die Technik für AR-Anwendungen weitgehend ausgereift ist und von fast jedem Smartphone geboten wird, steckt dreidimensionales Filmvergnügen für den Fernseher daheim noch in den Kinderschuhen und bietet viel Raum für technische Verbesserungen bei sinkenden Anschaffungskosten.

Dazu kommt: Für Augmented Reality reicht ein Smartphone, für die 3-D-Technologie hat man beachtlich viele Möglichkeiten, Geld auszugeben: Zum Fernseher und Blu-ray-Player, um 3-D abzuspielen, kommen als nächster Schritt Video- und Digitalkameras, um selbst 3-D-Bilder aufzuzeichnen. Erste Modelle gibt es bereits, kaum ein Hersteller wird es versäumen, an diesem Trend mitzuverdienen. Auch 3-D-Wechselobjektive für Spiegelreflexkameras werden inzwischen angeboten. Die Entwicklung ist in voller Fahrt. Wir werden die Welt in Zukunft nicht mit anderen Augen sehen. Aber dank neuer Technik gewinnen wir mehr Eindrücke davon.

Christian Zeiser