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Hingehört – Plattenkritik: First Breath After Coma und Karl die Große

urbanite hat sich für euch die neuen Platten von First Breath After Coma und Karl die Grosse angehört.

Hingehört I: First Breath After Coma – „Drifter“ (Vö 4.8.)

Kompakte Größe

Es gibt ihn noch, den Weg der alten Schule: Die Post-Rocker von First Breath After Coma beginnen als High-School-Band. In abgerissenen Garagen und verrauchten Clubs spielen sie die Songs ihrer Idole. 2017 erscheint nun mit „Drifter“ das bereits zweite Album der im Schnitt gerade mal 24 Jahre jungen Portugiesen. Der typische Song auf „Drifter“ lässt sich in etwa so skizzieren: Alles beginnt mit einer pulsierenden Klang-Fläche, zu der sich ein Beat gesellt. Immer mehr Klänge mischen sich dazu. Die Intensität steigert sich, bis sich schließlich riesige Gitarrenwände auftürmen, nur um einen Moment später wieder zusammenzubrechen. Am Ende bleibt nur ein einziges, pochendes Geräusch.

Natürlich gibt es auch Ausnahmen: Gleich der erste Song „Salty Eyes“ etwa beginnt mit fetten Drums und einer rockigen Strophe. Die Kernkompetenz aber bleibt das Sounddesign: Ob ins Unendliche hallende Gitarren, atmosphärische Geräusche, wie in einer psychedelischen Tropfsteinhöhle oder ein ehrlicher, basslastiger Rockbandsound – die Jungs wissen, wie es geht. Der Gesang erinnert dabei häufig an die guten alten Radiohead, auch wenn er meist eher aus undefinierter Ferne zu kommen scheint.

First Breath After Coma schaffen es auf ihrem neuen Album, die Qualitäten langatmigen Post-Rocks in konsumierbare Song-Formate zu packen. Bei „Drifter“ dürfen so auch interessierte Genre-Quereinsteiger ein Ohr riskieren. 

Hingehört II: Karl die Große – „Dass ihr superhelden immer übertreibt“ (Vö 29.9.) 

Mit Haltung vorgetragen

Einst im Jahr 2013 mit einem kleinen Konzert im Leipziger „Plan B“ gestartet, präsentieren die sechs Musiker von Karl die Große (ja, DIE Große) nun vier Jahre und zwei EPs später ihr Debüt-Album. Zugegeben, auf dem Papier lässt „Dass ihr Superhelden immer übertreibt“ nicht gerade eine musikalische Sensation erwarten: Sperriger Titel, Deutsch-Pop mit sensibler Frauenstimme – man kennt das ja. Das Betätigen des Play-Knopfes bläst diese Unterstellung gekonnt  hinweg. Denn dieses Album ist tatsächlich anders. Mit Gitarre, Bass, Schlagzeug, Bläsern und allerlei elektronischem Spielzeug schmieden Karl die Große ihre ganz eigene Version deutscher Popmusik – irgendwo zwischen Jazz und Pop, zwischen Björk und Ulla Meinecke. Immer wieder brechen abgefahrene Ideen das Erwartbare, torpedieren scheinbar schräge Töne die Pop-Idylle, die stets kurz genug anhält, um sich nicht anzubiedern.

Das alles wird abgerundet durch eine dynamische Produktion, die raue wie zarte Klänge perfekt in Szene zu setzten weiß. Und die Texte: Clever, teils verstörend, teils entwaffnend. Im Pressetext heißt es: „mit Haltung vorgetragen“. Auch wenn dieser gewöhnlich zu belächeln ist, bringen es diese Worte auf den Punkt. Wencke Wollny singt technisch erhaben und schafft es stets, den Worten und Tönen eine authentische Tiefe zu geben. „Dass ihr Superhelden immer übertreibt“ ist bewegend, unbequem, poetisch.

Info:

urbanite präsentiert das First Breath After Coma – Konzert am 17. September 2017 im Werk 2 und verlost 2×2 Tickets. Im Oktober 2017 starten Karl die Große ihre Tour und am 2.Dezember 2017 spielen sie ihr Leipzig Release-Konzert im Neuen Schauspiel. Hingehen! Beide haben es verdient …  

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