Lange Zeit galt die Oststadt als wirklich schlimmes Viertel. Die Gründe aber, warum „brave“ Hannoveraner unter keinen Umständen „hinterm Bahnhof“ wohnen wollten, änderten sich mit der Zeit. Im Zuge des Eisenbahnbaus Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die heutige Oststadt zwischen Hamburger Allee, Celler Straße, Hohenzollern- und Königstraße in eine Vorstadtsiedlung, in der sich nur die Ärmsten der Armen niederließen. Ein riesiger kreuzförmiger Gefängniskomplex am heutigen Raschplatz beherrschte den gesamten Stadtteil, in der Nähe lagen emissionsträchtige Industriebetriebe, was den abschreckenden Ruf des Viertels noch verstärkte.Noch bis in die 1970er Jahre blieb die Oststadt ein Arme-Leute-Viertel, in dem vor allem alte Menschen, kinderreiche Familien, Gastarbeiter,Alternative und Studenten leben wollten und konnten. Mit den Alternativen kam die Alternativ-Kultur: Aus einem ehemaligen Kaufhausprovisorium wurde der Pavillon, eine Kulturstätte, die nach dreißig Jahren immer noch ein Provisorium ist. Und der Raschplatz wurde nicht ohne Grund im Volksmund auch „Haschplatz“ genannt. Nun waren es die 68er und das kriminelle Drogenmilieu, die brave Hannoveraner mit der Oststadt, dem Viertel hinterm Bahnhof, gleichsetzten. Der zweifelhafte Ruf dieses Areals sorgte auch dafür, dass das Schauspielhaus nicht wie Jahrzehnte lang geplant am Raschplatz, sondern in der schickeren Prinzenstraße neu erbaut wurde. Der U-Bahn-Bau und mit ihm die Passerelle brachten die Wende. Endlich war der von der Innenstadt trennende Bahndamm überwunden, oder besser gesagt: mittels Fußgängertunnel „unterwandert“. Und mit der Lister Meile entstand eine beliebte Einkaufs-, Bummel- und Flaniermeile. Die Studenten kehrten als gutverdienende Akademiker zurück, und aus dem Problemviertel ist ein lebendiges Quartier voller kreativer Ideen geworden. Das findet auch Desimo, Entertainer und Lister-Meilen-Bewohner, den wir am Weißekreuzplatz trafen.

PRINZ: Was ist der Reiz der heutigen Oststadt?
Desimo: Das Klischee der in die Jahre gekommenen Alt-68er und Lehrer erlebe ich so nicht. In der Oststadt ist das ein ganz bunter Mix; manchmal fast extrem, wenn am Weißekreuzplatz Obdachlose auf die Casa-Schickis treffen. Der Pavillon ist sowieso multikulturell, und ein paar Meter weiter leben direkt gegenüber des Senioren-Pflegeheims viele Studenten. Die Oststadt ist eben bunt!
PRINZ: Du bist der Erfinder des Lindener Spezial Clubs, wohnst aber in der Oststadt.
Desimo: Beide Ecken sind auf ihre Art klasse. In Linden haben wir halt nicht die passende Wohnung gefunden. Ich bin oft in Linden, dort habe ich meine Probenräume und natürlich immer wieder die Shows im Apollokino.
PRINZ: Was sind die Vorzüge der Oststadt?
Desimo: Aus der Oststadt ist fast jeder interessante Punkt in Hannover in maximal 15 Minuten zu erradeln. Ein paar hübsche alte Häuser hat die Gegend ja auch noch – und die Lister Meile ist schon schön!
PRINZ: Wo liegen die Nachteile?
Desimo: Als direkter Anwohner kann dir das Meilenfest auf den Senkel gehen – wenn gerade zwei Wochen vorher der verkaufsoffene Sonntag zum Rummel wurde. Beides sind sicher gute Veranstaltungen – aber sie müssen aufpassen, freundliche Feste zu bleiben und nicht zum nächtlichen Saufgelage zu verkommen.
PRINZ: Deine Lieblingsorte in der Oststadt?
Desimo: Nur ein paar Schritte entfernt sind viele nette Orte zum Sein: Öfter natürlich mal im Pavillon mit guten Kollegen auf der Bühne.Und im Mezzo, klar – bei mir meist für „Salat 1001 Nacht“. Um die Ecke ist dann noch das Torres mit peruanischem Koch und seinem leckeren „peruanischen Fischtopf“ – vor allem, wenn er ihn pikant anrichtet … Espresso „auf schick & wichtig“ gibt’s in der putzigen Hannover- Version bei Ecco, dem Italiener aus Jugoslawien – oder authentisch wie schon immer (und nach wie vor gut) in der kleinen Butze „La Lanterna“. Und ab und zu mal italienische Spezialitäten rund um Büffelfleisch und -mozzarella im Fratelli la Bufala.Was will ich mehr?! Vielleicht einfach mal die Meile entlang schlendern? Das ist schön – klappt aber selten.