Es gibt nur wenige Bands, die mit ihrer Musik Menschen zum Weinen bringen können. Lovenia aus Magdeburg können das sogar noch in einer völlig fremden Sprache. „Orphonisch“ heißt diese und ist dem Kopf von Sängerin Astrid Adlung entsprungen. Ihr Zustoßen zu der Band war einer von vielen Bausteinen, die aus der Band Australopithecus Lovenia werden ließ. Der vielschichtige Weltmusiksound aus Didgeridoo-, Sitar- und vielen anderen Klängen von Haiko Dau, Andreas Genzsch und Reyk Hillert ist aber auf dem neuen Album „Fortun“ erhalten geblieben. Ihm Interview nehmen wir Band und Werk einmal genauer unter die Lupe.
%__site.name%: Was verbirgt sich hinter der Entstehungsgeschichte von Lovenia?
Reyk Hillert:
Vorher gab es das Projekt „Australopithecus“, aus dem Lovenia hervorgegangen sind und das gab es wirklich schon eine Weile; im Jahr 2000 fing es mit zwei Leuten an und sich dann erweitert: Musiker kamen hinzu, irgendwann auch eine Sängerin und die letzte Entwicklung war dann noch mit einem Schlagzeuger zusammen. Früher hatten wir auch mehrsprachige Texte – Portugiesisch, Englisch und Sanskrit waren dabei. Das war aber irgendwann nicht mehr so unser Ding. Wir wollten etwas eigenes haben.
Irgendwann bei einer Probe fielen uns die Wörter dann einfach zu, sodass wir einfach unsere eigene Sprache sozusagen daraus gemacht haben und es dabei beließen. Da wir jetzt noch einen Schlagzeuger dazubekommen haben und nun auch in unserer orphonischen Sprache singen, haben wir uns umbenannt, um auch für ein Stück Entwirrung zu sorgen. Wenn sich ein Projekt über Jahre hinweg verändert – es fing mal mit Didgerdoo-Musik an, erhielt dann einen afrikanischen Touch, es gibt auch noch den Verein Australopithecus e.V., wir machen auch Feuershows -, dann sind ein paar Leute auch verwirrt und dem versucht man mit dem neuen Namen entgegen zu wirken.
„Lovenia“ ist sicherlich auch orphonisch, hat es eine Bedeutung?
Eigentlich kam der uns auch spontan zugeflogen und wir haben dann gesagt: Der ist es. Aber natürlich guckt man da auch nach, ob der irgendwie belegt oder vergeben ist. Im Internet findet man da nichts, aber tatsächlich ist es der Namen auch in der Ozeanologie in Gebrauch. Da bedeutet es „Herzseeigel“. Eine Gattung der Herzseeigel ist dann im Plural die „Loveniidae“. Es ist tatsächlich nicht ganz Fantasiesprache, das wussten wir vorher auch nicht. Wir fühlen uns aber alle sehr mit dem Meer verbunden und „Herzseeigel“ ist schon eine lustige Sache.
Wer schreibt bei euch die Texte?
In der Regel macht das schon Astrid, wir haben ihr das überlassen. Am Anfang haben wir es noch alle versucht, aber das war dann zu kompliziert. Das kann sie dann auch besser, sodass es dann auch von der Phonetik her besser passt. Es ist schon eine Art Dichten, aber ohne nachzudenken. Die Wörter kommen halt zu ihr, da hat sie ein besseres Händchen für. Deswegen macht sie das dann für sich.
Eure eigene Sprache „Orphonisch“ hat schon einige Assoziationen erzeugt, wie etwa mit dem Isländischen und…
Nein, Astrid fühlt sich zwar zum skandinavischen Raum hingezogen und hat auch Urlaub in Norwegen gemacht – vielleicht war das auch irgendwo im Unterbewussten –, aber es gibt keine feste Idee oder Assoziation mit etwas bestimmten. Es ist einfach so, dass gewisse Silben und Worte Astrid einfach zufielen. Aber im ersten Moment klingt das schon skandinavisch, isländisch oder so. Es gibt ja auch hin und wieder Leute, die mehre Sprachen sprechen bei unseren Konzerten, die dann meinen, das wäre isländisch und erklären die Bedeutung. Oder es gibt Wörter, die 500, 600 Jahre v.Chr. im europäischen Raum benutzt wurden. Zumindest hat man darüber Rollen gefunden und man hat uns erklärt, was aus den Worten abegeleitet wurde, auch wenn sie so heute nicht mehr im Gebrauch sind. Mitunter muss es also nicht aus dem Skandinavischen stammen.
Im Klappentext ist von der orphischen Sprache die Rede, die quasi eine Ursprache ist. Teilt die ganze Band diesen Gedanken?
Das kam eher zufällig. Ein paar Freunde aus Stendal meinten: Ihr nennt das doch orphonische Sprache und bei einem Autor hier heißt es eben orphische Sprache – also das es von Nachtigall in Griechenland, von Orpheus und Eurydike kommt. Da hatten wir das aber längst schon so betitelt gehabt. Wir fanden das auch ganz lustig, das trift es ja auch ganz gut. Wir wussten das aber vorher nicht, dass das eine Art Anlehnung ist. Das war eher Zufall.
Diese Aneinanderreihung von Zufällen – entsteht daraus eine bewusste Anlehnung an das Übernatürliche?
Das bleibt dem Leser selbst überlassen, inwiefern er sich da öffnen möchte. Aber es stimmt, wir glauben so nicht an Zufälle. Das mögen vielleicht spontane Begebenheiten sein, aber rückwirkend betrachtet, kam da eins zum anderen. Aus den scheinbaren Zufällen macht man sich nichts, deswegen denken wir auch, dass das unser Weg ist, dass es da weitergeht. Wir glauben an eine Bestimmung.
Von Sanskrit über Afrika bis hin zum Didgeridoo. Woher stammt denn diese vielfältige, interessante Mischung?
Das ist eine gute Frage. Bevor wir uns kennengelernt haben, hat sich jeder schon mit sich und seinem Instrument auseinandergesetzt. Bei mir war es, dass ich mit Didgeridoo angefangen habe, dann kam später afrikanische Percussion hinzu. Irgendwann habe ich Haiko kennengelernt, der Sitar spielte. Und er war auf diesem indischen Musiktripp – wir haben ja auch noch Tambura und Saranghi als Instrumente – und dann haben wir versucht das zu verknüpfen. Astrid ist dann stilistisch eher im Europäischen und im Jazz-Raum durch ihre Gitarrenausbildung verankert. Mit der orphonischen Sprache hat das dann noch einen runden Schliff bekommen. Genzschi ist offen für alles; auch für Ethnoschlagzeug und Congas. Alles was Klick und Klack macht, laut ist oder irgendwie fremdartig klingt, ist seins. Ich denke, es ist dann die Mischung, die es ausmacht; dieses Kombinieren von Sachen, die eigentlich nicht zusammengehören bzw. die sich auf der Welt nicht so oft treffen.
Wie versucht ihr diesen besonderen Ansatz live greifbar werden zu lassen?
Live ist immer ein besonderer Moment. Das ist schwierig, das muss man erleben. Für uns auf der Bühne ist das eben auch immer ein besonderer Moment, wenn man das Publikum vor sich hat. Es ist manchmal schon so, dass eine Art Interaktion statffindet. Die Stücke sind ja an sich schon fertig, aber live klingen die dann, logischerweise, anders als auf dem Album. Das ist dann ein direktes Erleben. Wenn man die CD hört ist das gut und schön, aber live geht es dann in das Herz. So lauten zumindest die Schilderungen. Das muss wohl ein intensiver Moment sein. Warum das so ist bzw. was wir dafür genau tuen, das kann keiner von uns genau sagen. Es passiert einfach.
Wie kam es zur Aufnahme des Albums „Fortun“?
2005 gab es ein Australopithecus-Album, das ist jetzt drei Jahre her, und für uns stand fest mal wieder etwas neues zu machen. Zwischendurch hatten wir auch schon ein Programm mit anderen Texten, aber wie es dann so ist bei Musikern, entschieden sich manche für einen anderen Weg und wollten ein Auslandssemester machen und wir hingen dann in der Luft bis sich die Band Lovenia so zusammengefunden hatte. Wir mussten zwar von vorne anfangen und das hat auch seine Zeit gedauert, aber dann kam eines zum anderen.
Haiko, der früher Tontechniker war, kannte Kollegen von da und so haben wir dann bei Oliver Voigt und MusicART aufgenommen. Auch von anderen Magdeburger Bands wurde er uns empfohlen, da er schon alle möglichen Bands von Jazz bis Klassik aufgenommen hatte und damit auch Erfahrung besaß. Das war sehr effektiv. Zum Teil hatte er, da er selbst Musiker ist, anregende Ideen. Bei manchen Sachen haben wir auch einfach unser eigenes Ding gemacht. Aber es ist immer gut jemanden zu haben, der die Musik auch verstehen kann. Weil Oliver aber ein sehr gefragter Mann ist und wir deshalb nur eine Studiowoche hatten und er zwischendurch auch mal für einen halben Tag weg musste, standen wir unter extremen Zeitdruck. Für ein nächstes Album würden wir uns mehr Zeit nehmen. Ich denke es es ist trotzdem ganz gut geworden.
Zwei Songs tragen besondere Titel: Was hat es mit „Arne“ und „Sonne Mond und Stern“ auf sich?
Mit „Arne“ war es die Begebenheit, dass der jüngste Sohn von Astrid so heißt und wir proben immer abends in Hakenstedt, wo Astrid auch wohnt. Und eines Abends als er noch ganz klein, wollte er nicht schlafen, hat gequengelt und wir wollten aber auch proben. Was macht man? Wir waren beim Komponieren und haben den Kleinen einfach mit rüber genommen und das Lied, ein recht ruhiges an sich, fing an und keine zehn Sekunden wie er die Gitarrenmelodie gehört hat, ist Arne einfach eingeschlafen und schlief dann auch die ganze Zeit im Proberaum. Deshalb hieß das Lied dann „Arne“.
„Sonne Mond und Sterne“ hat einen ähnlichen Schlafliedcharakter, aber scheinbar kommt es auf Konzerten auch immer gut bei Paaren an. Das Lied hat eine bestimmte Atmosphäre von Geborgenheit. Das mögen ja Kinder und Päarchen auch. Es ist wie eine Sommernacht: Man liegt auf der Wiese oder am Strand, schaut in den Himmel und alles ist gut.
Kann man denn mit einer Musik mit einer freien Sprache trotzdem bestimmte Themen transportieren?
Ja, das auf jeden Fall. Wir komponieren ja trotzdem Stücke und der Text kommt dann am Ende hinzu. Das Stück ist also schon vorher fertig, nur manchmal verändert man es noch um vielleicht einen Refrain einzubauen. Es ist in der Regel vor dem Text schon fertig vorgeformt. Und wenn wir es komponieren, nehmen wir uns immer etwas bestimmtes vor. Entweder soll es in eine bestimmte Richtung gehen oder es soll irgendetwas ausdrücken. Der Text kommt scheinbar spontan und fügt sich dann gut ein. Wenn wir beispielsweise ein orientalische angehauchtes Thema erstellen wollen, wird das Stück eben so gemacht, dass wir sagen: Es ist unser Stil, aber man kann eben heraushören, dass es arabische Einflüsse hat. Der Text kommt entsprechend hinzu. Vielleicht passiert das auch im Unterbewussten. Wenn man die Musik hört, bilden sich auch automatisch die Worte, der Text entsteht Stück für Stück und das Lied ist dann fertig.
Wo macht sich diese Herangehensweise besonders bemerkbar?
Das war unser derzeitiges Lieblingsstück „Fortun“. Vielleicht haben wir auch deshalb das Album so benannt. Es war vom Anspruch her das Stück, wo wir uns alle besonders Mühe gegeben haben, und in welche Richtung wir auch in etwa weitergehen wollen. Das Stück besteht ja aus drei Teilen, bei denen der Hörer zuerst vermutet: Das Stück ist vorbei; und dann steigert es sich nochmal, geht noch einmal los. Das ist das, was wir für gut befinden. Es hat auch einiges an Zeit und Nerven gebraucht um dahin zukommen bis es so fertig war. Jetzt ist es ein Referenzstück, wo wirklich alles gut passt.
Wohin geht diese Entwicklung und was wünscht ihr euch für die Zukunft?
Wir wünschen uns zahlreiche Konzerte. Vielleicht erreichen wir einfach mehr Leute. Es ist wirklich erstaunlich, was mit den Leuten passiert, wenn sie es live erleben. Es ist auch nicht selten – man gewöhnt sich mit der Zeit auch daran –, aber am Anfang war das schon erstaunlich was das bei den Zuhörern bewirkt. Also es ist nicht selten, das die Leute bei Konzerten in Tränen ausbrechen oder sich plötzlich an Dinge erinnern, an die sie sich vorher nicht mehr erinnern konnten. Da scheint die Musik auch ein Schlüssel zu sein. Wir möchten noch viele Menschen erreichen und von der musikalischen Seite ist noch viel offen, da ist noch viel Potenzial. Wir haben auch noch viele Instrumente, die wir noch gar nicht benutzt haben, und da wird es Zeit, die in die Komposition mit reinzunehmen.