Premiere von „Don Juan oder Der steinerne Gast“ im Schauspielhaus
Es ist ein Stück der Extreme; ein Stück, in dem Grenzen konsequent missachtet und überschritten werden.
Die Handlung lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen: Don Juan schert sich Zeit seines Lebens nie um etwaige Grenzen, seien sie nun moralischer oder juristischer Natur. Er schläft mit allen Frauen, schwört jeder die ewige Liebe, verteilt Heiratsanträge wie andere Visitenkarten, mordet, wenn er es für geboten hält, lügt ohne mit der Wimper zu zucken, prügelt sich, wenn sich eine Gelegenheit bietet, kurzum: Don Juan hält sich an keinerlei gesellschaftliche Konventionen. Er pfeift auf seine geplante Ehe mit Elvira (Franziska Melzer), die er sogar aus einem Kloster entführte, um sie ehelichen zu können. Vielmehr reizen ihn kurzzeitig zwei Fischverkäuferinnen, die er quasi gleichzeitig umgarnt. Er schlägt jegliche Warnung, jegliche Aufforderung zu Buße und Umkehr eiskalt aus, ja er verhöhnt sogar die Frömmigkeit eines Bettlers, indem er diesem nur Geld geben will, wenn der streng gläubige Mann gegen seinen Gott lästert.
Doch dieser exzessive und rücksichtslose Lebenswandel bleibt nicht folgenlos. Don Juan stirbt und muss, auf ewig verdammt, zur Hölle fahren. Er war ein Hasardeur, dem nichts heilig war, dessen Leben von Maßlosigkeit, Zügellosigkeit, Genusssucht, kurz: der Sünde, gekennzeichnet war, so dass die Strafe der ewigen Verdammnis die logische Konsequenz darstellt.
Wolfgang Vogler spielt in der Inszenierung von Tobias Wellemeyer diesen Egomanen. Seine schauspielerische Leistung ist bewundernswert. Er überzeugt in jedem Augenblick. Im Heucheln, im Prahlen, aber auch in den wenigen Momenten des Sinnierens oder der vorgegaukelten Reue staunt man ob Voglers Facettenreichtum, Authentizität und Glaubwürdigkeit. Die personifizierte Maßlosigkeit des Don Juan in allen ihren Facetten spielt er glänzend.
Nicht minder lobenswert agiert Camill Jammal als Diener des Don Juan in der Rolle des Sganarelle. Er, der zwischen Loyalität und Moral, zwischen Recht und Unrecht, zwischen Demut und Hochmut aufgerieben wird, führt dem Zuschauer eine tragische Figur vor Augen. Selbst gläubig, muss er doch auf Grund des Dienstverhältnisses die Ausschweifungen Don Juans ertragen und oft genug auch anderen gegenüber rechtfertigen oder beschönigen. Camill Jammal gelingt dieser Spagat. So wirkt Sganarelle zwar auf der einen Seite wie ein Duckmäuser, allerdings nimmt man ihm seine Skrupel und seine Hilflosigkeit nicht nur in den ironisch-komischen Momenten ab. Nein, die Zweifel und das Unbehagen sind ständig spürbar und gegenwärtig.
„Don Juan oder Der steinerne Gast“ ist ein Stück, das polarisiert. Schon die Kulisse und das Bühnenbild sorgen gleichzeitig für Erstaunen und Ekel. Der Fußboden ist mit schlammiger Erde bedeckt, von der auch das Publikum in den ersten zwei Reihen ab und an einige Spritzer abbekommt. Doch das Theater hat vorgesorgt: Regen-Ponchos liegen für die ersten zwei Reihen parat, die diese spezielle Art des Zuschauerkontaktes für das Publikum und dessen Kleidung folgen- und v.a. auch spurenlos belassen sollen.
Auf der Bühne wird geraucht, geliebt, geflucht, gestritten und gekämpft, aber auch gesungen, getanzt und gelacht. Alles in allem ist es einfach ein starkes Stück: Man muss nicht begeistert sein. Ja, der Eine oder Andere vermag vielleicht auch nicht, über seinen Schatten zu springen und sich auf diese Art des Regietheaters einzulassen. Und doch ist „Don Juan“ ein Erlebnis, ja ein Event. Die Lautstärke, die Bewegung, das schauspielerische Können, das permanente Überschreiten von Grenzen auf der Bühne lässt die zweieinhalbstündige Aufführung sehr rasch vergehen und bleibt auf alle Fälle lange Zeit im Gedächtnis.
