Musical “Evita” open air in Magdeburg

Wirft man den ersten Blick auf die Bühne des diesjährigen Domplatz-Open-Airs, ist man beeindruckt, zugleich aber mag sich vielleicht auch ein wenig Skepsis mit hineinschummeln. Hier soll “Evita” spielen? Auf einer riesigen leeren, Richtung Landtag spitz zulaufenden, nach hinten höher werdenden rötlich-lila-farbigen Bühne. Einzige Gestaltungselemente sind die ebenso riesigen, viereckigen, violetten, mit vielen Löchern durchsetzten Säulen. Eine mächtige, abstrakte Kulisse, eher Werkhalle als Kulisse eines emotionalen Musicals.

Plötzlich steht auf dieser übermächtigen Bühne ein einzelner Mann und verkündet, dass Eva Perón, “die geistige Führerin der Nation an diesem Tag um 20.25 Uhr in die Unsterblichkeit eingegangen ist“. Die Geschichte beginnt und von dieser Sekunde an ist das Publikum der ausverkauften Premiere gefesselt. Es erlebt den rasanten Aufstieg der Eva Duarte vom kleinen Landmädchen zur First Lady Argentiniens. Evita-Darstellerin Simone Geyer gelingt in wunderbarer Weise die Wandlung von der unbedarften Schwärmerin zur kühlen, berechnenden Frau, die im Schatten ihres Prädidentengatten unsichtbar die Fäden des Landes zieht. Die Wandlung zeigt sich zum einen natürlich am veränderten Äußeren Evitas (aus dunklen werden blonde Haare, aus dem Zopf ein Knoten, aus dem karierten Bauernkleid das kühl-elegante Kostüm einer Geschäftsfrau). Doch auch stimmlich und schauspielerisch zeigt Simone Geyer Evitas Veränderung: Die Stimme wird voller, kräftiger, die Gesten der Frau akzentuierter, herrischer. Während sie anfangs noch eine von vielen auf der Bühne ist, wird sie im Verlauf des 1. Aktes zunehmend präsenter, um dann spätestens zu Beginn des 2. Aktes, beim berühmten “Wein nicht um mich, Argentinien”, die Bühne vollends für sich zu erobern.

Mindestens ebenso präsent, spielerisch und stimmlich eindrucksvoll ist Drew Sarich als Che. Er schaut von außen auf die Geschichte der Eva Duarte, später Perón, gibt den Zuschauern den historischen Hintergrund, führt durch die Geschichte und ist gleichzeitig ihr moralisches Gewissen. Ob sich die realen Evita und Che jemals tatsächlich begegnet sind, ist historisch nicht belegt. Fakt ist nur, dass Che, der gebürtiger Argentinier war, die Ungerechtigkeit in seinem Heimatland immer scharf kritisiert hat. Drew Sarich ist in nahezu jeder Szene auf der Bühne präsent, selbst wenn er als unbeteiligter Zuschauer auf das Geschehen schaut, zieht er unwillkürlich ebenfalls das Interesse des Zuschauers auf sich. Stimmlich weiß Sarich absolut zu überzeugen, auch in den oberen Reihen ist er wunderbar zu verstehen. Schließlich ist gerade in seiner Erzählerrolle ein deutlicher Gesang immens wichtig. Und so werden Lieder wie “Adios und Danke”, wenn Che von Evas “Aufstieg” dank ihrer zahlreichen männerbekanntschaften erzählt, oder der “Walzer für Evita und Che” am Ende ihres Lebens zu musikalischen Höhepunkten der Aufführung.

Apropos Musik. Auch wenn man in diesem Jahr das Orchester kaum sieht, weil es gut gegen mögliche Wetterunbilden abgeschirmt in einem nahzu geschlossenen Zelt außerhalb der Bühne sitzt: zu hören ist es allemal. Rainer Roos, früherer Magdeburger Kapellmeister, der auch schon “Titanic” und “Jekyll & Hyde” leitete, macht auch bei “Evita” mit der Magdeburgischen Philharmonie wieder einen überzeugenden Job. Ob schnell oder langsam, laut oder leise, Tango oder Walzer… auch wenn es bei der Premiere an der einen oder anderen Stelle noch kleine Tempo-Unstimmigkeiten zwischen Sängern und Musikern gab. Angesichts der Größe der Bühne und der völlig anderen Akustik unter freiem Himmel kann man dies jedoch verzeihen.


Fotos: Nilz Böhme

Doch nicht nur die beiden Hauptdarsteller und die Philharmoniker, auch die anderen Solisten, wie Ethan Freeman als Juan Perón und Iago Ramos als Jung-Evas erste Liebe Augustin Magaldi, hinterließen einen starken Eindruck, ebenso wie der große Chor aus Opernchor und Singakademie und das Magdeburger Ballett. Chor und Ballett verkörperten zuallererst das Volk, aber auch die Gruppe der Aristokraten, die Militärs, übernahmen aber auch kleinere Solorollen. Sie alle sind Teil eines stimmigen und wirklich gut gelungenen Ganzen, auch wenn man über einige Tanzeinlagen, vor allem die der Militärs, sicherlich streiten kann (Choreografie Kurt Schrepfer). Da wirkten die Soldaten in ihren Bewegungen oft eher wie Kasperlpuppen, aber möglicherweise ist diese Assoziation ja sogar gewollt.

Noch einmal zurück zur Bühne. So nüchtern sie vor Beginn des Stückes wirkt, so sehr entfaltet sie ihren ganz speziellen Zauber im zweiten Teil nach der Pause, wenn der Himmel dunkel ist. Dann leuchten die Säulen, die “Türme der Macht”, wie Bühnenbildner Knut Hetzer sie im Programmheft nennt, von innen. Von außen werden sie, genau wie die große, tiefe Bühne ebenfalls beleuchtet – mit Bildern (von Che oder Evita), mit Texten oder geometrischen Figuren. Und plötzlich ist die Bühne auch nicht mehr so monströs und beängstigend, sie ist ein Ort voller Emotionen. Und damit versiegt auch endgültig jede Skepsis, die vielleicht vorher im Kopf war: Die Magdeburger “Evita”-Inszenierung in der Regie von Matthias Davids ist ein gelungener, lohnenswerter Musical-Abend, mit dem es bei der Premiere soagr der Wettergott mehr als gut meinte. Nach der nicht so starken “West Side Story” nun wieder ein wirklich beeindruckendes Musical aus dem Magdeburger Theater, das die Premierenzuschauer mit langem Beifall und Standing Ovations bejubelten.

Bis zum 26. Juni wird noch gespielt. Und es gibt sogar noch Karten, jedenfalls für die Vorstellungen in der Woche.

Und noch ein Tipp: Statt eines normalen Programmheftes gibt es für “Evita” ein Programmbuch im Hardcover, das ich den Theaterfans unter euch nur wärmstens empfehlen kann. Kostet zwar 5 Euro, doch darin gibt es Handlung, Historie, Künstlerporträts und auch ein Probentagebuch, das spannende Einblicke in die Produktion gibt!

Weiterführende Links

www.theater-magdeburg.de

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