Zwischenmenschlichkeiten im Schauspielhaus Magdeburg
Gut, sehr gut, glaubt man Annette und Alain Reille. Das Ehepaar ist zu Besuch bei Véronique und Michel Houillé, um eine Streiterei der beiden Söhne zu besprechen. Es wird eben dieser Clafoutis – ein französischer Kuchen (Aha!) – serviert.
Gemeinsam verfassen die Paare einen Brief. Sachlich werden alle Details der kindlichen Streiterei, bei der einer der Söhne zwei Zähne verloren hat, wiedergegeben. Extrem höflich und sehr elitär ist die Umgangsweise. Man ist sich einig und auch schon fast aus der Tür hinaus, als plötzlich eine kleine Unsicherheit aufkeimt, ob wirklich das Wort „bewaffnet“ im Brief stehen sollte.
So beginnt Yasmina Reza’s Gott des Gemetzels. Die französische Autorin versteht es, innere Befindlichkeiten und alltägliche Kleinkriege zu porträtieren. Bereits in „Ein spanisches Stück“ und „Drei Mal Leben“ prallen Menschen aufeinander und zünden eine Explosion bis dato unterdrückter Konflikte.
Véronique (herrlich neurotisch gespielt von Melanie Straub) ist Schriftstellerin. Sie liebt ihre Kunstbände und ihr Desinfektionsspray. Ihre Pariser Wohnung gleicht einem exquisiten Möbelgeschäft: weiße Möbel, weißer Teppich, weiße Tulpen. Gerade arbeitet sie an einem Buch über den Dafur-Konflikt. Ihr Mann Michael (sympathisch phlegmatisch gespielt von Marcus Kaloff) hat einen Eisenwarengroßhandel und eine Hamsterphobie. Annette (überzeugend überfordert gespielt von Meike Finck) ist Vermögensberaterin und hat am Tag der elterlichen Aussprache offenbar eine Magenverstimmung. Ihr Mann Alain (wunderbar asozial gespielt von Wolfgang Vogler) ist Jurist und verbringt sein Leben am Mobiltelefon.
Die Atmosphäre wechselt im Laufe des Gespräches von freundlich-unterkühlt in aggressiv-explosiv. Was harmlos bei Clafoutis und dem Willen zum gegenseitigen Respekt beginnt, wird schleichend zum Debakel. Die ehelichen Konflikte werden im Beisein der Gäste diskutiert, Alains fragwürdige Rolle in einem Pharmazieskandal wird offensichtlich, Véroniques und Michaels konsequente Abneigung von Gewalt verliert an Glaubhaftigkeit, als heraus kommt, dass Michael den Hamster der Tochter ausgesetzt und damit dem Tod übereignet hat.

Foto: www.theater-magdeburg.de
Annette leidet unter ihrem ignoranten Ehemann und übergibt sich, nach dem trotzigen Genuss von Rum, mehrfach auf Véroniques kostbaren Kunstbände. Die ist fortan damit beschäftigt ihre Kunstbände trocken zu fönen und vernachlässigt ihre Aufgabe als perfekte Gastgeberin. Auf dem Höhepunkt des Gemetzels landet Alains penetrant klingelndes Handy in der Vase mit den schneeweißen Tulpen.
Die Schwachpunkte der gut verpackten Lebensläufe kommen ans Licht. Was die Kinder mit einem kurzen Handgemenge gelöst haben, schaffen ihre Eltern in diesem Kampf und auch in allen anderen Kämpfen nicht.
In Yasmina Rezas Gott des Gemetzels geht es nicht um die großen Dinge des Lebens. Hier geht es um Banalitäten. Leicht findet man sich wieder in den wild keifenden und hoffnungslos überforderten Charakteren und prüft panisch die eigenen Ideale nach Standhaftigkeit und Sinn.
Gewinner gibt es keine. Nur den Gott des Gemetzels.
Zu sehen am 25.04., 04.05. und 19.05. im Schauspielhaus Magdeburg.
Weiterführende Links
Eventsteckbrief: Der Gott des Gemetzels
Homepage des Theater Magdeburg