So war der Björk-Sonntag
Zum selben Zeitpunkt beginnen auf der Bühne große Umbauarbeiten. Wo eben noch Hot Chip spielten, werden nun riesige Plasmabildschirme und Wimpel mit Tierwappen aufgestellt. Vor das Mikro der Sängerin werden acht kleine Gefäße mit Suppen und Getränken gestellt. Aus den Boxen schallen fremde, unverständliche Volksweisen. Vor der Bühne, circa in Reihe drei oder vier, vollzieht der Autor das Leben einer Ölsardine nach. Der Mann vor mir steht seit fast zwanzig Minuten mit dem Rücken zur Bühne, weil er sich im großen Gedränge nicht mehr rechtzeitig umdrehen konnte.
Am Nachmittag hatte das noch anders ausgesehen: Bei den Los Campensinos! aus Wales stehen nur einige hundert Menschen lose verteilt vor der Hauptbühne und lauscht den sieben jungen Musikern, die irgendwie alle singen und irgendwie alle jedes Instrument spielen. Das reicht noch nicht für die ganz großen kollektiven Glücksgefühle, sorgt aber für einige wirklich interessante Momente. Nachfolgend stehen Neon Neon mit Verstärkung auf der Bühne und präsentieren ihr Konzeptalbum „Stainless Style“ über Pontiac-Designer John Delorean. Das Supergroup-Duo, bestehend aus Elektrobastler Boom Bip und Super-Fury-Animals-Chef Gruff Rhys, präsentiert seine Songs über den Autobauer sehr charmant und eingängig. In Großbritannien sorgte das dafür, dass man ihr Album als eines der Besten im Jahre 2008 handelt, hier auf dem Melt! in Deutschland sorgt das aber leider nicht für die ganz große Aufregung.
Es folgt wieder ein Stilbruch: Erneut gibt es interessante Momente mit Konstantin Gropper alias Get Well Soon zuhauf: Ein Deutscher, der orchestralen Pop irgendwo zwischen Folk und Independent auf Englisch präsentiert. Geht das überhaupt? Na und ob, hier funktioniert das sogar sehr gut. Aus den Vereinigten Staaten beehren Battles das Festival. Sie spielen hauptsächlich instrumentalen Rock, der manchmal algorithmisch wirkt, im Wesentlichen zeigt, dass auch versierte Gitarrenmusik nach dem selben Muster wie Electronica tanzbar ist.
Viele der Zuschauer scheinen aber eher auf Hot Chip zu warten. Die gibt es dann um kurz vor 21 Uhr zu sehen. Im Prinzip kann ja hier eigentlich nichts schiefgehen: Hot Chip gelten als absolute Liveband und haben das bereits 2006 und 2007 eindrucksvoll hier an dieser Stelle demonstriert. Nur irgendwie will das heute alles nicht gelingen. Die Band wirkt genervt, was zu einem vermutlich am Für-Björk-eingekaufte-Vorband-Status liegt und zum anderen daran, dass auch diesmal die Technik versagt. Was letztes Jahr, ein auch im dritten Anlauf nicht funktionsfähiges Keyboard ist, ist diesmal das Mikrofon von Joe Gibbard. Der beschwert sich dementsprechend nach einer halben Stunde fluchend über die Techniker. Auch das Hot Chip versuchen ihre alten Hits wie „Over and Over“ oder „And I Was a Boy from School“ dem Soundgewand des neuen Albums „Made in the Dark“ anzupassen, trägt, zumindest auf einer solch großen Bühne, nicht gerade zur Erheiterung vorbei. Nach einer viel zu kurzen Stunde ist das leider nur befriedigende Konzert auch vorbei.



Mit Björk auf dem Melt!: Eine kleine Frau mit einer Riesenshow
Quellen: Geert Schääfer (1,2)/Tobia Vollmer (3)/Melt!Festival
Nur noch vierzig Minuten Umbaupause trennen die ca. 13.000 Zuschauer, welche sich in die riesigen Tribünenflügel gedrängt haben vom Auftritt Björks. Als diese dann vorbei ist, marschiert eine zehnköpfige, weibliche Bläsergruppe – The Wonderbrass – auf die Bühne, gefolgt von einem Pianist und Keyboarder sowie zwei Musikern – darunter der bekannte Marc Bell -, die mit zwei Apple-Laptops, Mischpulten und einem sogenannten „reacTable“ beschäftigen. Dieses neuartige Gerät ist ein komplexer Musikcomputer mit einer optisch sensitiven Oberfläche. Weltweit gibt es zwei dieser Sorte, eines der beiden können die Melt!Besucher nun über vier große Bildschirme live aus der Vogelperspektive verfolgen. Ein Preludium wird angespielt, dann hüpfte sie auf die Bühne: Björk Guðmundsdótti. Wie auch ihre Bläserinnen ist sie in ein futuristisches, buntes Kostüm gehüllt, das von Koboldmythen und vom Neon-Stil beeinflusst scheint, gehüllt. Bei ihr beschränkt es sich allerdings auf ein einfaches Kleid. Die Augenbrauen sind zusammen geschminkt, um die Haare scheint sich niemand gekümmert zu haben. Die ewig junge Fee wirkt im Scheinwerferlicht tatsächlich so alt wie sie mittlerweile ist, immerhin 42 Jahre.
Ein kurzes „Hallo“ dann beginnt „Earth Intruders“, der erste Song von „Volta“. Alles hüpft und erliegt der gingantischen, farbigen Show. Nicht einmal Björks heute leicht schwache bzw. dünne Stimme kann den kollektiven Endorphinrausch nicht trüben. Danach fällt das Tempo ab, die ruhigeren Volta-Songs werden bevorzugt, dazwischen eine gelungene, spröde Version des 1995er-Klassiker „Army of Me“. In überaschend brüchigen Englisch stellt die Meisterin ihre Band vor, kokettiert immer wieder mit einem süßlich-benebelnden „Danke schön!“ das Publikum. Es gibt eine eigene Lasershow und einen Spezialeffekt, bei dem Björk ein Spinnennetz quer über die Bühne spannt.
„Wanderlust“ mit seinem Bläser-Intro wird zweimal angestimmt aber nur einmal gespielt. Als Zugabe gibt es dann aber nochmal diesen Song, dazu „Joga“ und dann „Declare Independence“. In dessen harter Schranz-Attacke samt Konfettiregen verliert sich das Konzert auch. Frenetisch umjubelt verlässt Superstar Björk die Bühne. Sie hat einen großen Bogen von drei Tagen voller großartiger Konzerte, viel Regen und einiger Organisationsprobleme souverän geschlossen. Ihre acht Verpflegungsbecher und -Schüsseln hat sie allerdings nur dreimal kurz angerührt.