Die ersten Premieren der neuen Spielzeit

Das Warten hat ein Ende! Das Schauspielhaus ist wieder da.
Unter der Leitung von Jan Jochymski kann sich das Magdeburger Publikum auf zahlreiche neue Stücke freuen. urbanite war bei einigen für euch vor Ort.

„Zusammen“

In „Zusammen!“ stellt Jan Jochymski dem Magdeburger Publikum eine WG vor, in der Utopien zum Alltag gehören. Er bringt typische WG-Charaktere aus den 70er Jahren auf die Bühne und überträgt sie in die Gegenwart. Das Ergebnis ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen der verschiedensten Charaktere. Eric (Martin Reik) etwa vertritt selbst bei Diskussionen um den Abwasch krampfhaft den marxistischen Standpunkt. Göran (Stefan Ebeling) und seine Freundin Lena (Christiane Boehlke) führen eine mehr oder wenige offene Beziehung mit all den dazugehörigen Problemen. Anna, gespielt von Babette Slezak, mimt eine meditierende, freizügige alleinerziehende Mutter, die nach dem Ende der Beziehung mit WG-Partner Lasse (Sebastian Reck) nun ihr Glück beim gleichen Geschlecht sucht, und deren Pilzbefall im Intimbereich offen und publikumswirksam in der WG-Küche thematisiert wird. Kurz: Die WG „Zusammen“ ist ein Projekt. Ein Experiment. Eine Utopie.
Die vielen Charaktere illustrieren so das manchmal problematische, zuweilen komische, aber immer abwechslungsreiche Mit-, Neben- und Gegeneinander einer WG. Szenisch wird das Publikum mit all dem, was modernes Theater auszeichnet, ein wenig überfordert: eine sporadische Einbeziehung des Publikums, Videoinstallationen, schrille Musik und überaus freizügige Darbietungen.
Alles in allem ist „Zusammen!“ ein wenig zu viel für einen einzigen Theaterabend. 14 Darsteller auf der Bühne, zig Elemente des Regietheaters und eine Handlung, die problemlos gerafft werden könnte, erschöpfen mehr, als dass sie unterhalten oder zum Nachdenken anregen.

„Michael Kohlhaas“

Anlage WEP – Weitere Personen der Bedarfsgemeinschaft. Anlage KI – Kinder. Anlage KDU – Kosten der Unterkunft und Heizung. Anlage MEB – Ärztl. Bescheinigung wegen Mehrbedarf für Ernährung. Und, und, und…
Diesen Wust an Anträgen und noch viel mehr muss jeder erwerbsfähige Hilfebedürftige über sich ergehen lassen, um Arbeitslosengeld II zu beziehen. Das ist nicht nur nervig. Das ist belastend. Und Entwürdigend und degradierend.
So sieht das zumindest Volker König in seiner Inszenierung von Kleists Michael Kohlhaas.
In einer auf der Studiobühne angedeuteten Plattenbausiedlung muss sich Königs Kohlhaas, gespielt von Silvio Hildebrandt, zunächst mit der deutschen Hartz-IV-Bürokratie rumplagen und seiner Frau Elisabeth (Susanne Krassa) immer wieder versichern, er werde schon einen neuen Job finden.
Erst nach diesem spaßigen, wenngleich zugegebenermaßen etwas langatmigen Einstieg wird die Geschichte des Michael Kohlhaas erzählt. Es ist die Geschichte des Rosshändlers, von dem widerrechtlich ein Wegzoll gefordert wird. Er lässt daraufhin zwei seiner Pferde als Pfand beim Junker von Tronka (Frank Benz). Diese werden vom Junker schonungslos durch Feldarbeit zugrunde gerichtet. Auch seinem zurückgelassenen Knecht Herse (auch Susanne Krassa) widerfuhr durch den Junker und seine Schergen Unrecht und Gewalt.
Kohlhaas beschreitet daraufhin den Rechtsweg. Juristisch ist die Angelegenheit schließlich eindeutig. Doch Tronka hat die richtigen Beziehungen und kommt ungeschoren davon. Das ist zu viel für Kohlhaas. Ihm dürstet es nach Gerechtigkeit. Also nimmt er die Sache selbst in die Hand. Er schart mehr und mehr Unzufriedene um sich und zieht auf der Suche nach Gerechtigkeit brandschatzend und mordend durch Mitteldeutschland.
Silvio Hildebrandt gelingt es glaubwürdig und authentisch, dem Publikum die Widersprüchlichkeit des Michael Kohlhaas auf sehr gelungene Art und Weise darzustellen. Der Zuschauer schwankt zwischen Anteilnahme und Abscheu, zwischen Sympathie und Erschrecken. Kurzum: „Michael Kohlhaas“ auf der Studiobühne ist sehenswert und besticht vor allem durch Hildebrandts Können.

„Frühlings Erwachen“

Das erste Mal, Alkohol, Partys, Schule, Stress mit den lieben Eltern und natürlich die erste große Liebe – Jugendliche haben es echt nicht leicht, erwachsen zu werden.
Das Stück „Frühlings Erwachen“ will diese Probleme anhand der Schicksale von sieben Jugendlichen auf der Bühne thematisieren. So muss Moritz (Bastian Reiber) um seine Versetzung bangen. Martha (Heide Kalisch) hingegen ist voller Wut auf ihre prügelnden Eltern. Und Hans (Marc Rißmann) spürt, dass er sich eher zu Männern hingezogen fühlt.


Fotos: Veranstalter

Doch leider vermag es die Inszenierung von Regisseurin Christine Hofer nicht, die vielen Probleme der Jugendlichen tiefgründig und in all ihren Facetten darzustellen. Hans gelingt es in einer Szene zum Beispiel einfach nicht, sich auf ein Hochglanzfoto einer jungen Frau einen runterzuholen. Er ist verzweifelt. Doch wenig später tänzelt er fröhlich über die Bühne und ist überglücklich, in Ernst (Alexander Absenger) seine große Liebe gefunden zu haben. Die inneren Auseinandersetzungen, die Angst vorm Coming-Out, die Probleme der Selbstfindung – all das spielt auf der Bühne keine Rolle. „Frühlings Erwachen“ bleibt bei allen Problemen der Jugendlichen zu sehr an der Oberfläche. Tiefgang? Fehlanzeige!

Gerettet wird die Darbietung vor allem durch das schauspielerische Können von Bastian Reiber in der Rolle des Moritz. Bei der Vorstellung des neuen Ensembles präsentierte Jan Jochymski ihn als Klassenclown des Ensembles. Dass Reiber über Humor und Potential zum Entertainer verfügt, spürt man. Aber vor allem besticht er durch seinen Facettenreichtum. So spielt er ruhige Momente genauso authentisch wie Augenblicke voller Wut und Aggression. Bastian Reiber – der Lichtblick in einem Stück, das sonst weder Höhepunkte noch Tiefgang zu bieten hat. Leider!

„Miß Sara Sampson“

„Miß Sara Sampson“ von Lessing ist eine spannende und abwechslungsreiche Geschichte. Die junge Miß Sara (Julia Schubert) reißt von zu Hause aus, um mit ihrem Geliebten Mellefont (Ralph Martin) der väterlichen Fürsorge zu entfliehen. Doch rasch leidet Sara. Sie fühlt sich schuldig und hofft verzweifelt auf eine Hochzeit mit Mellefont. Doch seine eigene Verzweiflung bremsen die Heiratspläne. Er ist zerrissen zwischen dem Wunsch nach der ehelichen Zweisamkeit und der gleichzeitigen Furcht vor dem Korsett der Ehe. Seine alte Geliebte Marwood, grandios gespielt von Janine Kreß, schwirrt ihm allerdings auch immer noch im Kopf herum. Sie liebt ihn noch immer voller Leidenschaft und versucht ihn wieder rumzukriegen. Sie intrigiert, nutzt die einschlägig bekannten Waffen der Frau und bedient sich der gemeinsamen Tochter, um ihn zu erpressen. Sie liebt und muss doch leiden.
Einseitiges Lieben und der Kampf mit allen Mitteln um das geliebte Wesen: Janine Kreß führt dem Publikum wunderbar vor Augen, wie seltsam paradox Liebe doch sein kann.
Ralph Martin in der Rolle des Mellefont personifiziert das Gefühl der Zerrissenheit ebenso deutlich. Er lügt Sara an und leidet doch selbst. Und das Publikum ist gebannt. Abneigung will sich nicht recht einstellen, obwohl er der jungen Sara gegenüber nicht ehrlich ist. Der Zuschauer spürt einfach, dass er sie trotzdem liebt.
Und Julia Schubert schließlich in der Rolle der Miß Sara: Halb naives Dummchen, halb intensiv nachdenkende junge Frau; unsicher in die Zukunft blickend und doch die Hoffnung nie aufgebend: Sara Sampson hätte keine würdigere Verkörperung finden können.
So ist „Miß Sara Sampson“ ein Stück über die Liebe. Nichts Neues also? Ganz klar: Nein!
Die Liebe als ein Geben und ein Nehmen, als ein Geben-Wollen und es doch nicht können, als ein Haben-Wollen und es doch nicht kriegen; die mit der Liebe verbundenen Widersprüche stehen in Zentrum von „Miß Sara Sampson“. Und die Umsetzung am Schauspielhaus Magdeburg, die sollte man echt gesehen haben!

Weiterführende Links

www.theater-magdeburg.de

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