Titus Andronicus veranstaltet im Magdeburger Schauspielhaus eine riesige Sauerei

Es herrscht Uneinigkeit in der Welt, ob unser aller Meister der englischen Literatur, William Shakespeare, wirklich ein so barbarisches Stück wie Titus Andronicus geschrieben haben kann. Das ist nichts wirklich neues, wird doch regelmäßig über die Echtheit der Shakespeareschen Akte diskutiert. Ob nun Shakespeare oder nicht, das Stück ist geschrieben und nun sollte man auch was damit machen.
Was Regisseur Sascha Hawemann damit macht, ist äußerst bemerkenswert. Keine Spur von den oft kritisierten oberflächlichen Charakteren. Kein bloßes Gemetzel. Keine dummen Grausamkeiten.
Der Feldherr Titus Andronicus kehrt nach langem Kampf heim nach Rom. Sascha Hawemann verlegt den Spielort aus dem antiken Rom in eine sehr reale Szenerie im Nahen Osten. Dort ist der Kaiser verstorben und nun wetteifern Bassianus und Saturninus, Söhne des verstorbenen Kaisers, nach allen Regeln der Wahlwerbekunst um den Thron. Das Volk aber will Titus auf dem Thorn sehen. Der lehnt die Krone dankend ab und gibt sie weiter an den älteren der beiden Söhne, Saturnius. Der freut sich und nimmt die Gotenkönigin Tamora zur Frau. Die und ihre drei Söhne hat Andronicus aus dem Krieg mitgebracht. Allerdings ist Tamora stinksauer, denn nach römischem Brauch zerstückelte Andronicus ihren ältesten Sohn vor ihren Augen.
Frisch vermählt sinnt die Gotenkönigin auf Rache. Sascha Hawemann geht es nicht um bloße Vergeltung. Für ihn steht die Liebe vor der Rache. Was tut eine Mutter, die erleben musste, wie ihr Sohn getötet wurde? Ihre Rache wird beinahe nachvollziehbar. Ihre beiden verbleibenden Söhne der Tamora erstechen Bassianus. Sascha Hawemanns Gotensöhne erinnern sehr an die Jugendlichen von der Tankstelle: glänzenden Jogginganzügen, Turnschuhe, Goldketten. Sie unterhalten sich in einem Englisch-Deutsch:Sprachmix und wachsen auf in einer Gesellschaft ohne Werte. Sie kennen keinen Unterschied zwischen Erotik und Vergewaltigung. Sie finden es lustig jemanden zu erschlagen.
Die Schuld für den Tod Bassianus wird zwei Söhnen des Andronicus gegeben.
Ein grausames Schicksal erfährt auch Lavinia. Die Gotensöhne vergewaltigen sie, schneiden ihr die Zunge heraus und hacken ihr beide Hände ab. So kann sie ihre Schänder nicht preisgeben.
Der schwarze Aaron – die scheinbare Inkanation des Bösen – treibt im gesamten Stück ein grausames Spiel. Als Diener von Tamora spinnt er Intrigen, immer darauf bedacht, sich an der weißen Welt zurächen. „Ich lach mich tot. Und mein Humor ist schwarz.“ Er macht den Titus glauben, dass er seine zwei gefangenen Söhne befreien kann, wenn er sich die Hand abschneidet. Das tut Titus und erhält zum Dank die Köpfe seiner Söhne.


Foto: www.theater-magdeburg.de

Im Lebenslauf des Titus fragt man sich, was noch geschehen muss, bis ein Mensch wahnsinnig wird. Beinahe biblisch kommen die Plagen über Titus. Vier Söhne im Krieg verloren, die Tochter vergewaltigt und verstümmelt, zwei Söhne geköpft, ein letzter verbannt, die Hand selbst abgetrennt. Der muss doch durchdrehen! Das tut der Titus nicht. Er tauscht den Kampfanzug gegen den Jogginganzug und wird zum asozialen Penner. Unfähig seine Gefühle zuzeigen, lässt er die um Mitgefühl und Liebe wimmernde Tochter allein mit ihrem Schmerz.
Lavinia wiederum wird erst durch ihr Leid menschlich. Vor der Vergewaltigung eine ehrgeizige Karrierefrau, entwickelt sie sich zurück zum Kind, das um die Aufmerksamkeit ihres Vaters bettelt. Schließlich gelingt es ihr, ihre Peiniger zu entlarven und Titus – endlich aus seiner Lethargie erwacht – rächt seine Tochter. Er tötet die Gotensöhne und verarbeitet sie zu Pastete. Bei einem Versöhnungsessen wird die Pastete serviert und schmeckt der Gotenkönigin ausgezeichnet.
Shakespeare, fünfter Akt: Es stirbt die Lavinia durch die Hand ihres Vaters, der ihre Schmach nicht länger ertragen kann. Titus ersticht Tamora, natürlich nicht ohne vorher sein Pasteten-Rezept zu verraten. Titus wird von Saturnius erstochen. Saturnius wird getötet von Lucius, dem letzten Sohn des Titus. Der wird der neue Kaiser. Ende.
Viele Biografien, viele Verstrickungen, viel Blut. Auf das Blut kann auch Regisseur Sascha Hawemann nicht verzichten. Literweise ergießt es sich über die Bühne.
Brutal und greifbar inszeniert Sascha Hawemann die Gewalttaten. Spürbar ist der Schmerz. Am Ende herrscht der Wahnsinn. Na, wenn das mal kein Shakespeare ist.
Unbedingt ansehen – am 28. Mai im Schauspielhaus Magdeburg!

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