Puerto Giesing

Der Hype scheint zu funktionieren: So lange Schlangen hat man vor dem ehemaligen Hertie- Kaufhaus an der Silberhornstraße wahrscheinlich zuletzt bei einem Schlussverkauf in den Sechzigern gesehen, als der Laden noch Bilka hieß. Bei der ersten Party im Puerto Giesing feierte die Ravegemeinde schwitzend und frenetisch die Berliner DJane und Labelbesitzerin Ellen Allien und die neue außergewöhnliche Location. Die Münchner Nachteulen – immer heiß auf eine Abwechslung vom gewohnten Clubleben – stürmten die ehemalige Kaufhalle ganz zeitgemäß dank Messages auf Social Networks wie Facebook und Twitter. Von einer großen Party ist bei unserem ersten Besuch noch nichts zu sehen, Bauzäune bestimmen das Bild. Dafür liegt eine freudige Erwartungshaltung in der Luft, die bei allen Beteiligten zu spüren ist. Denn Puerto Giesing ist viel mehr als nur eine weitere temporäre Partylocation, es ist vor allem ein Knotenpunkt, der Kreative verknüpfen soll. „Ich entwickle langsam richtige Muttergefühle für die Künstler“, erzählt Zehra Spindler (großes Foto, 6. v. r.). Die Initiatorin des letztjährigen alternativen Stadtgeburtstags „München 851“ hat als Geschäftsführerin des Puerto Giesing eine neue Plattform gefunden, um Leute unterschiedlichster Coleur zu vernetzen. Mit dem „Team from Hell“ rund um Florian Pop und Super-Paper-Macher Hubertus Becker hat sich Zehra tatkräftige Partner gesucht, die nach ihren letzten Projekten, darunter „Horses, Cars & Stars“, fast schon Profis sind, wenn es um die Zwischennutzung von Off-Locations geht. Bereits Ende April zogen die ersten Künstler mit ihren Ateliers, Büros und Werkstätten in das weitläufige Gebäude in Obergiesing. Aber nicht nur die üblichen Verdächtigen wuseln hier durch die Gänge. Im zweiten Stock treffen wir Carola Niemann und Birgit Querengäßer, die sich auf ihrem Sofa gerade durch einen Berg Modezeitschriften und Zeitgeistmagazine arbeiten. „Wir entwickeln gerade die erste Ausgabe unseres eigenen Magazins“, verrät Carola. Sie arbeitete als Mode- und Fotochefin bei „Maxim“ und als Chefredakterin von „Musikexpress Style“ und will sich nun mit „Posted!“ einen Traum erfüllen. „Ich hab mir ein Jahr Auszeit genommen, um endlich einmal ein Magazin ganz nach meinen eigenen Vorstellungen aufzubauen. Puerto Giesing bietet mir die optimale Gelegenheit, mit anderen zusammenzuarbeiten.“ An der nächstenTür klebt ein Schild mit der Aufschrift „Bayerische Subkulturverwaltung Hauptabteilung Nerds und Underground“. Dahinter steckt Patrick Gruban, der Gründer der Wiki-Site „Sub-Bavaria“, der in seinem komplett leeren Zimmer vor einem Laptop sitzt. Von hier aus organisiert er die „Nerd Nite“. Bei der regelmäßigen Veranstaltung referieren selbsternannte Experten mal spitzfindig, mal erstaunlich witzig zu abseitigen Themen wie Paralleluniversen, italienische Autobahnraststätten oder Schreiben mit nur einem Vokal. Wieder einen Raum weiter erholen sich die Sprayer vom Buntlack-Kollektiv von einem harten Wochenende. Ihren Graffiti Style zeigen sie mittlerweile auch in Galerien, und bei der „Lego Graffiti Styles Convention“ sprayten sie auf nachgebaute Züge. Am liebsten ungestört sind die Mitglieder des Chaos Computer Clubs, die sich auf Fotos hinter Sonnenbrillen und ins Gesicht gezogenen Kapuzen verbergen und auch sonst eher die vorbeihuschenden Schatten des Kulturknotenpunkts sind. In Giesing bringen sie mit ihrem Projekt „ACAB – All Colours Are Beautiful“ die Fenster des Gebäudes mit gekoppelten LEDs zum Leuchten. Neben Kunst wird aber auch Musik in den einstigen Kaufhausräumen produziert. So hat sich der Musiker und Produzent Albert Pöschl (großes Foto, 8. v. r. mit Hut), der selbst in Giesing wohnt, ein kleines, rein analoges Studio eingerichtet, von dem aus er ganz München überblicken kann. In der Kantine des Puerto will er jeden Donnerstag mit seiner Reihe „Ghost“ an verstorbene Musiker erinnern. Natürlich darf auch Pollyester von der Zombocombo im Puerto Giesing nicht fehlen. Modemacher Patrick Mohr (großes Foto, ganz vorne mit Hut) hat hier Atelierräume gefunden, genauso wie Eva Schatz, die an ihrer Nähmaschine aus Secondhand-Klamotten Kindermode herstellt, aktuell aber an einer Puerto-Flagge näht. Bis September haben die Kreativen noch Zeit, sich hier auszutoben, dann schlägt die Abrissbirne zu. Aber bis dahin ist noch viel geplant.

Puerto Giesing
Tegernseer Landstr. 64
81541 München
Öffentliche Verkehrsmittel
U Silberhornstraße
Map data © OpenStreetMap contributors, CC-BY-SA
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