Machen wir uns nichts vor: Die „HipHop Stadt Stuttgart“ mit ihrem florierenden und wegweisenden Untergrund ist tot – beziehungsweise umgezogen. So wie Tupac Shakur. Sie existiert eigentlich nur noch, wenn die Altvorderen oder die jung gebliebenen Karrieristen der städtischen Politik etwas Tolles über die Jugendkultur erzählen wollen. Und mit Ausnahme von Maeckes & Plan B oder Versbox gab’s schon lange keine gerappten Wohltaten mehr aus der Stadt. Dennoch: Der andere Untergrund tobt, bisweilen so laut, dass man dies problemlos in ganz Deutschland, Europa und manchmal sogar noch weiters entfernt hören kann. Zum Beispiel Rework, lakonische Grenzgänger zwischen New Wave, Tanzrockerei und Elektronika. Daniel Varga, Sascha Hedgehog und Michael Kübler erfreuen sich derzeit zum Beispiel in Kopenhagener Styler- und Fashionista-Kreisen großer Beliebtheit. Für Mads Nørgaards Film „The Copenhagen Experience #2“ liefern Rework nicht nur Teile des Soundtracks, sondern spielen auch gleich noch im Film des Modedesigners mit. Produziert wurde das von Anders Trentemøller – auch der heiße Scheiß im Umhängetaschenträger-Unterground. Locker machen sich Rework trotzdem. Statt harter Karriereplanung gibt’s seit nunmehr acht Jahren sophisticated Popmusik und ein sich ständig erweiternder Hörerkreis – und allerlei Gastspiele im Ausland wie New York und San Francisco beispielsweise im September.

Philipp Poisel ist auch so ein heimlich leiser Musiker, machte nie großen Wind um sich und seine melancholische Singer/Songwriterei: Ende August erscheint nun sein Debüt-Album bei Herbert Grönemeyers Grönland Records. Selbst der SWR 3 lässt sich mal wieder dazu hinreißen, einen Künstler aus der Stadt ins Repertoire aufzunehmen. Hat man da ja auch nicht alle Tage. Monochrome, Stuttgarts wohl beste Indie-Post-Punk Band wird das so schnell nicht passieren. Doch sie selbst haben schon vor Jahren lieber auf ein weltweit querverstrebtes Do-It-Youself-Netzwerk anstatt auf flotte Industriebahnen gebaut. Mittlerweile veröffentlichen sie ihre Platten beim honorigen Indie-Label Stickman und werden fast weltweit schultergeklopft für ihre famose neue Platte „Caché“, für ihren Dickkopf und für die große Kunst. Ebenfalls auf dem Weg zu sehr großen Taten ist Christian Illi. Ein verhuschter, verflixt junger und androgyner Typ, der Lieder schreibt, dass man eigentlich „sie“ zu ihm sagen müsste. Zwischen Coldplay, Bright Eyes und ein paar Tränen Emo lässt der Kerl nichts anbrennen – ob mit seiner Band Chocolate Tree oder als Solokünstler. Vielversprechende, beziehungsweise bereits erfolgreiche Künstler gibt es in Stuttgart mittlerweile zuhauf. Lediglich die Art, sich zu präsentieren hat sich geändert.

So sieht’s auch Ulrike Dreher, früher im 0711 Büro tätig und heute beim Popbüro: „Die Besonderheit, weshalb Stuttgart damals als HipHop Hauptstadt wahrgenommen wurde, lag lediglich darin, dass die Bands auf einem gewissen Level zusammengearbeitet haben und sich auch gegenseitig im Bereich Promotion und bei Konzerten unterstützt haben und als Einheit aufgetreten sind“, erzählt sie. „Das würden wir uns für Bands, die nicht aus dem HipHop Bereich kommen, auch mehr wünschen.“ Für Dan Delgado, wunderbar schrulliger Singer/Songwriter aus Stuttgart, spielt das eine eher zweitrangige Rolle, sieht er sich eher als Einzelkämpfer: „Mein Eindruck ist, dass es eher mehrere kleine ‚Szeneparzellen‘ gibt.“ Hindert den Typen aber nicht daran, wundersame kleine Lieder zu schreiben. Andreas Sauer von Stuttgarts feinster und durchaus altgedienter Americana Popgruppe Loretta lacht: „2007 haben wir ’20 Jahre ohne Szene‘ gefeiert, und seitdem hat sich auch nichts geändert.“

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Gemeinsame Seilschaften bestehen freilich dennoch: „Es gibt durchaus verwandte Klänge und nette Leute, wie Sorry Computer oder Dinky Drums“, erzählt Sauer. Auch die Glampunkrocker Skulls’n’Bones schließen sich mit seelenverwandten Bands wie The Helldorados und Rawmantics zusammen. Im Singer/Songwriter-Bereich scheint sich derweil tatsächlich eine fruchtbare Szenerie mit Bands wie Any, Daantje & The Golden Handwerk oder eben Phillipp Poisel, Dan Delgado oder Sorry Computer zu entwickeln. Mit der neuen Konzertreihe Hundling schaffen sie sich zusammen auch gleich ihre eigene Bühne. Die paar Bühnen, die sonst noch bestehen, werden derweil bespielt wie verrückt. Das Merlin jagt im August beim Klinke Festival einen ganzen Monat lang Bands wie Spoiled Nikita, Submarien, Nille Promille oder Putte & Edgar über die Bühne. Im Keller Klub oder bei Submission in der Röhre greifen beispielsweise die deftigeren Acts zum Handwerkszeug. Im Zwölfzehn gibt’s die regelmäßige Nachwuchs-Veranstaltungsreihe Musikladen – initiiert vom Popbüro.

Ulrike Dreher sieht das mit positiven Vorzeichen: „Die Infrastruktur ist grundsätzlich sehr gut, nur an Proberäumen fehlt es aufgrund der hohen Mietpreise eigentlich ständig. Aus dem gleichen Grund gibt es leider auch immer weniger Platz für subkulturelle Entwicklungen.“ Kein Wunder also, dass sich lokale Bands bei dieser Form der Kulturpolitik nicht überschlagen mit dem Lokalpatriotismus. Der als Marketing-Grundlage oder -Strategie eh nicht mehr nötig ist. Spätestens seit Web 2.0 und besonders durch Myspace macht es kaum noch einen Unterschied, ob eine Band aus Helsinki, Großbottwar, Berlin oder New York kommt. Der Arsch der Welt rückt näher, egal wo er gerade sein mag. Denn auch vom Dorf aus gibt’s dank Myspace und Co. den direkten Weg in die Metropolen zu den Multiplikatoren oder den Gleichgesinnten und Co. – digital zumindest. Kein Grund also, das alte Lied anzustimmen, man würde als Popband aus Stuttgart nicht wahrgenommen. Sinatra wusste es irgendwie und Andreas Sauer von Loretta gibt ihm Recht. „If you can make it there, you can make it anywhere.“

Michael Setzer

Auf der nächsten Seite gibt’s die besten Stuttgarter Bands im Web 2.0 – da sind für jeden ein paar potentielle Lieblingslieder dabei.

Stuttgarter Bands im Web 2.0.: Wetten, dass da für jeden ein paar potentielle Lieblingslieder dabei sind. Gibt’s auch im echten Leben:

REWORK
www.myspace.com/wannarework
Feinste Liedkunst zwischen New Wave, Tanzrock und Styler-Zeug.

MONOCHROME
www.monochromepopgroup.com; www.myspace.com/monochromede
Post-Punk, Indie, der nach großer weiter Welt und ein bisschen nach Hochschule klingt.

PHILIPP POISEL
www.philipp-poisel.de; www.myspace.com/philipppoisel
Ganz große Singer/Songwriterei. Klingt nach Herbst und Hirn.

CHRISTIAN ILLI
www.myspace.com/christianilli, www.myspace.com/thechocolatetree
Ob solo oder mit The Chocolate Tree: Hier menschelt’s zwischen Coldplay, Bright Eyes, Libertines und Emo.

LORETTA
www.myspace.com/lorettathegroup
Feinster Americana Power Pop, 100% kauzig und sophisticated.

SORRY COMPUTER
www.myspace.com/sorrycomputer
Putte & Tobi zur 60ies-Pop-Big-Band aufgestockt. Melodien ohne Ende.

SUBMARIEN
www.myspace.com/submarienmusic
Bestens ausgeleuchteter Alternative- Rock – Bundesrockpreis prämiert.

DACIA & THE WMD
www.myspace.com/daciaandthewmd
Kerniger Crossover-Rock mit vielen Gitarrensoli.

FREIBOITER
www.myspace.com/freiboiterstuttgart
Rabaukiger und stilsicherer Straßenpunk mit ordentlicher Tinte auf dem Füller.

DINKY DRUMS
www.myspace.com/dinkydrums
Blumiger Power Pop in bester US-90er- Jahre Tradition.

SKULLS’N’BONES
www.myspace.com/snbrocks
Schmissiger Glam- und Angeberrock.

DAN DELGADO
www.myspace.com/dandelgadomusic
Hochmelodiöse Singer/Songwriterei auf einer fast kaputten Gitarre.

DAANTJE & THE GOLDEN HANDWERK
www.myspace.com/daantjethegoldenhandwerk
Schrulliges Lo-Fi-Zeug, reduziert, minimal aber irgendwie maximal.

SPOILED NIKITA
www.myspace.com/spoilednikita
Charmanter Post-Punk kurz vor Joy Division – nur halt 2008.

ROCKET FREUDENTAL
www.myspace.com/rocketfreudental
Zwischen Dada, NDW und Psychedelic und beiläufiger Hysterie. Abgefahrenes Zeug.

THE WET SET
www.myspace.com/thewetset
Sportlicher Noiserock wie damals als Alternative noch eine Alternative und The Jesus Lizard viel zu laut waren.

NILLE PROMILLE
www.myspace.com/nillepromillerockt
Bescheuerter Namen aber super Experimental Tanzflächenrock.

PENG.SHIVAGO
www.myspace.com/pengshivago
Bestens ausgehüfteter Tanzrock/New Wave.

SUPERMUG
www.myspace.com/supermug
Flotter Eins-Zwei-Drei-Punkrock mit ordentlich Späßchen und Feuer im Hintern.

SIDEWALK
www.myspace.com/powerkleznroll
Klezmer Rock’n’Roll.Wild.