„Für mich war es in letzter Zeit sehr spannend, die Karriere von Amy Winehouse zu beobachten. Denn in gewisser Weise habe ich immer versucht, den Sound zu machen, mit dem sie berühmt wurde“, verrät Jamie Lidell. Stimmt, denn schon 2003, als der Brite im Rahmen des Sonar-Festivals in Barcelona live mit angeklebten Engelsflügeln, digitaler Konsole und Mikrofon allen die Show stahl, zeigte sich: Dieser Typ aus Cambridge hat nicht nur eine unglaubliche Soulstimme, sondern auch das Charisma eines großen Entertainers. Damals kreuzte er dekonstruktive Computerbeats mit schrägem Gesang. Für sein zweites Soloalbum „Multiply“ erfand er sich mit publikumswirksamem Soulfunk und begradigter Rhythmik neu. Nun hat der mittlerweile von Berlin nach Paris umgesiedelte Sänger genug von errechneten Beats und vor allem vom einsamen Touren gemeinsam mit seinem Laptop. „Ich lebte in den letzten Jahren wie ein musikalischer Zigeuner und war nur unterwegs“, beschwert sich der 34-Jährige gerne.

Geborgenheit fand er zwischendurch bei seinen Kumpels Gonzales und Mocky. Letzterem vertraute er nun die musikalische Leitung seines dritten Albums „Jim“ an, er selbst konzentrierte sich nur auf seine fantastische Stimme. Gute Idee, denn so entstand mithilfe des satten Bandsounds eine Pop-Zeitreise in die Siebziger, in denen Black-Music-Ikonen wie Stevie Wonder oder Sly Stone zu tanzbaren Arrangements und sanften Balladen ihre Seele entblößten. Jamie Lidell kann sich mit den alten Recken messen. Besonders dem verführerischen Timbre Marvin Gayes kommt er stellenweise sehr nahe. Jene Wahrhaftigkeit in seiner Stimme macht „Jim“ zum maskulinen, authentischen Pendant von „Back To Black“. Und mit der fast schon populistischen Aussage „Ich habe eine suchtgefährdete Persönlichkeit“ unterstreicht er obendrein, dass er nicht nur musikalisch das Zeug zur männlichen Amy Winehouse hat.
Michael Leuffen

Sehen Sie hier das Video zu Jamie Lidells Soul-Version von „Multiply„: