Auf zu neuen Heldentaten: Mit ihrem dritten Album „Soundso“ und Baby an Bord melden sich Judith Holofernes (Gesang, Gitarre),Mark Tavassol (Bass), Pola Roy (Schlagzeug) und Jean-Michel Tourette (Gitarre, Keyboard) zurück. PRINZ sprach mit Wir Sind Helden über Kinderglück, falsche Erwartungen, gute Missverständnisse und unpersönliche Pronomen.

PRINZ: Seit der Geburt von Polas und Judiths Sohn Friedrich im Dezember seid ihr quasi zu fünft. Onkel Jean-Michel und Onkel Mark: schon genervt von Stinkewindeln, Geschrei und Babykotze?
Tourette: Nein, wir sind ja alle um die 30. Viele in meinem Umfeld haben schon Kinder. Für mich ist das Thema absolut nicht neu. Und Kinder sind schließlich das Selbstverständlichste der Welt – zum Glück.
Tavassol: Seit wir wieder gemeinsam proben, gehört Friedrich einfach dazu. Wir stecken im Umgang mit ihm allerdings noch in den sprichwörtlichen Kinderschuhen. Aber es ist sehr schön. Ich habe das Gefühl, dass er und ich uns sehr gut verstehen. Er lässt sich wunderbar von mir tragen und hat mich genauso vollgebrochen wie seine Eltern. Ich werde ihm auf jeden Fall Fußballspielen beibringen. Eigentlich schreit er auch gar nicht so viel. Aber frag mich noch mal in ein paar Monaten, wenn er Zähne kriegt.

PRINZ: Habt ihr euch schon Gedanken gemacht, wie ihr Tour und Kind unter einen Hut bekommt?
Roy: Das werden wir mit gigantisch großen Nightlinern lösen. Kann man alles organisieren. Und wir werden auch jemanden dabei haben, der sich um ihn kümmert, während wir auf der Bühne sind.
Tavassol:Außerdem sind wir in der glücklichen Lage, uns inzwischen einen zweiten Tourbus mieten zu können. Für die Busunternehmen sind Babys an Bord nichts Ungewöhnliches. Die bieten Steckmodule mit Babybett und Wickeltisch an.

PRINZ: Gab es je Überlegungen, eine mehrjährige Babypause zu machen oder sich gar zu trennen?
Tavassol: Ich kenne Bands, die wegen einer Geburt nicht mehr existieren. Mutter oder Vater zu sein ist sicher noch schöner, als Bandmitglied zu sein. Aber wenn in deiner Brust ein Musikerherz schlägt und du genau das weitermachen willst, dann ist das eine schwere Entscheidung. Dass wir ohne Probleme als Band so weitermachen können, ist natürlich auch den Leuten zu verdanken, die unsere Musik hören und zu unseren Konzerten kommen. Ohne die Fans hätten wir nicht die finanziellen Mittel dafür.

PRINZ: Von Mutterfreuden oder dem „Wunder der Geburt“ ist auf dem neuen Album aber nichts zu hören. Wolltet ihr damit Erwartungen gezielt nicht erfüllen?
Roy: Sicher spielt das auch eine Rolle. Wir waren uns bewusst, dass alle ein Album erwarten, das ganz weich und auf Liebe ausgerichtet ist. Da fanden wir es schon ganz geil, eine Platte herauszubringen, die dem so gar nicht entspricht.
Holofernes: Dazu muss man aber auch sagen, dass ich Realität immer mit Verzögerung verarbeite.
Tavassol: Bei Kompositionen ist das etwas unmittelbarer. Da bist du vielleicht auf dem Killers-Konzert oder dem Air-Konzert, und irgendetwas inspiriert dich. Du gehst in dein Studio und verwurstest diese Inspiration gezielt oder zufällig. Ich glaube, wenn du die Sprache als kreativen Beitrag zur Musik nutzt, dauert das viel länger.
Holofernes: Trotzdem habe ich das Gefühl, dass das irgendwie eingeflossen ist, aber eher in dieser Leichtigkeit, mit der ich geschrieben habe. Das Kinderkriegen hat die positive Nebenwirkung, dass man sehr viele andere Sachen nicht mehr so wichtig nimmt. Ich liebe das, was ich tue, immer noch sehr. Aber es ist mir sozusagen noch ein kleines bisschen mehr egal, was dabei herauskommt.

PRINZ: Herausgekommen ist wieder ein inhaltlicher Mix aus Liebe, Spaß und Ernst. Wie kalkuliert ist diese Mischung?
Tourette: Ganz ehrlich, auch wenn es vielleicht schön wäre, ein Geheimrezept zu haben: Wir können nicht kalkulieren. Wir sind über das Ergebnis tatsächlich immer selbst erstaunt. Wir sind mit der Vorstellung ins Studio gegangen, dass „Soundso“ eindeutiger als der Vorgänger werden soll. Aber dass jetzt diese Mischung dabei herauskommt, war nicht geplant. Wir wollten eine schnelle, rockige Platte machen. Doch auf einmal kamen wieder Balladen um die Ecke. Nicht, dass wir das von Anfang an ausgeschlossen hätten. Jeder von uns hat verschiedene Schwerpunkte, die die Mischung dann formen. Es wäre schwer, uns auf eine Sache festzulegen und zu reduzieren. Wir würden die anderen Sachen ganz schnell vermissen.
Roy: Ich glaube, gefühlsmäßig findet durchaus ein Tasten und Suchen statt. Es gab auch Phasen, in denen wir dachten: „Das sind mir zu viele Balladen, da muss jetzt mal was Schnelles kommen.“ Die Mischung ist also durchaus aktiv geformt. Aber nicht konzeptionell, sondern mehr aus dem Bauch heraus.

PRINZ: Gibt es dennoch einen thematischen roten Faden?
Holofernes:Auch wenn das jetzt sehr theoretisch klingt: Es geht um Identitätskonstrukte, Selbstwahrnehmung und Außenwahrnehmung. Ich hab das Gefühl, dass sich diese Thematik durch das ganze Album zieht, auch wenn es nicht geplant war.

PRINZ: In eurem Lied „(Ode) An die Arbeit“ kommt ihr zu dem Schluss: „Alles, was Spaß macht: keine Arbeit.“ Wie viel Arbeit steckt denn im neuen Album?
Tavassol: Willst du es in Kilojoule wissen? Sagen wir mal so: sehr viel Kilojoule. Aber würde man Arbeit definieren als das, was übrig bleibt, wenn man den Spaß wieder abzieht, war es wirklich wenig Arbeit.

PRINZ: Unser Bundesarbeitsminister wird von dem Liedtitel sicher begeistert sein. Wie groß ist eure Angst, falsch verstanden zu werden?
Tourette: Das sind wir inzwischen gewohnt. Wir sind ja mit „Müssen nur wollen“ gleich komplett falsch verstanden worden.
Tavassol: Ja, ja, die Motivationshymne für die aufstrebende Generation, die nach Feierabend noch ins Fitnessstudio rennt. Tourette: In dem Fall fanden wir das ganz witzig. Da war immer ein kleines Kichern dabei. Natürlich kann das auch bei diesem Album wieder passieren. Aber es ist ja auch so, dass Songs keine eindeutige Wahrheit haben müssen. Ich kann mir schon vorstellen, dass ein Lied wie „(Ode) An die Arbeit“ hin und wieder auch auf seinen Arbeiterchor-Refrain reduziert wird. Und ich hoffe, dass die Leute ihn dann gut genug kennen, um die Ironie darin zu sehen. Und wenn nicht: So what? Tavassol: Künstler sind gut beraten, diese Angst nicht zu haben. Im besten Fall wirst du damit konfrontiert, kannst darüber sprechen und Missverständnisse klarstellen.

PRINZ: Dennoch können Missverständnisse zum dauerhaften Problem werden. Die Band Mia beispielsweise hat schon seit einiger Zeit immer wieder mit der Fehlinterpretation ihrer Texte zu kämpfen – trotz Konfrontation.
Tavassol: Dass da allen Ernstes jemand steht und die armen Bandmitglieder von Mia als Nazis bezeichnet, ist total bescheuert. Eine Riesenfrechheit. Meinetwegen soll man diskutieren über die Frage, ob Popmusik ein Forum ist für die Debatte: Kann man stolz sein auf Deutschland, nur weil man auf deutsche, zeitgenössische Kultur stolz ist? Das wiederum finde ich eine gerechtfertigte Diskussion. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Leute sagen: Das ist zu früh. Antifaschismus ist eine der wichtigsten Strömungen in Deutschland. Aber man darf echtes antifaschistisches Arbeiten nicht diskreditieren, indem man Pulver mit Argumenten verschießt, die sich durch eine geschickte Diskussion widerlegen lassen.

PRINZ: Und mit dem Lied „Der Krieg kommt schneller zurück, als du denkst“ steigt ihr nun mit einer Gegenposition in diese Diskussion ein.
Holofernes: Natürlich ist das angedeutet in der Textzeile „Was sind 60 Jahre? Ein Wimpernschlag in der Zeit“. Wir sind mit Mia aber gut befreundet und schätzen sie wirklich sehr. Dieses Lied ist nicht als Gegenposition gemeint. Das ist einfach meine persönliche Position zu der Frage. Aber bei diesem Lied habe ich mir Sorgen gemacht, ob ich Menschen beängstige, was ganz sicher nicht mein Ziel im Leben ist.
Tavassol: (lacht) Der Titel hat schon fast etwas von einer Weissagung. Nach dem Motto: „Du wirst schon sehen. Wir sprechen uns wieder, Freundchen.“

PRINZ: Die direkte Ansprache einer Person, ein „Du“, findet man in fast allen Liedern auf dem Album. Wie entstehen diese unterschiedlichen Charaktere?
Holofernes: Ich rechne diese Charaktere aus bestimmten Menschen hoch oder collagiere sie aus Personen, die ich kenne – oder die ich selber bin. Natürlich verarbeite ich auch Zuschriften von Fans, zu denen wir kein Gesicht haben, von denen wir aber sehr viel mitkriegen darüber, was sie bewegt oder auch unglücklich macht. Bei „The Geek (Shall Inherit)“ beispielsweise geht es um einen fiktiven Ansprechpartner. Aber natürlich bin ich selber im Herzen ein Geek und kenne sehr viele. Ich habe mich diesem Schlag Menschen schon immer auf eine seltsame Weise zugehörig gefühlt.
Roy: Wir waren in unserer Jugend alle mehr oder weniger Geeks in bestimmten Phasen – wie die meisten Leute wahrscheinlich. Aber bei uns war das ausgeprägt. Jean hatte lange Zeit Stotterprobleme, ich habe sehr stark geschielt, irgendwann hatte ich auch große Akneprobleme. Entstanden ist das Lied aus Judiths Schwäche für amerikanische Achtziger-Jahre- Teenie-Komödien, in denen es immer einen Geek gibt. Dieser Song soll sagen: „Leute, haltet noch durch! In fünf Jahren wird vielleicht alles ganz anders.“ Denn die, die mit 14 cool waren, sind es später vielleicht gar nicht mehr. Das Blatt wendet sich eben ganz gerne mal.

PRINZ: In „Kaputt“ geht es um zerrüttete Familien. Wie viel von euch steckt in dem „Du“, das ihr diesem Lied ansprecht? Roy: Viel. Bis auf Mark sind wir alle Scheidungskinder und haben selbst erlebt, wie es sich anfühlt, wenn man in der Familie so etwas durchmacht.
Tavassol: „Du“ oder „ich“ ist tatsächlich eine häufig genutzte Variante in unseren Liedern. Diese direkte, persönliche Ansprache ist auch einfach nah an der Art, wie wir die deutsche Sprache kennen. Es ist unpeinlicher, weniger prosaisch als „man“ und „jemand“. Das wäre nicht echt und klänge bei unseren Liedtexten komisch.
Holofernes: Man hat jemandem ein Denkmal gebaut.“
Tavassol: „Man müsste nur wollen.“
Holofernes: (lacht) „Bitte gib doch mal jemand jemandem ein O.“ Hmm, vielleicht sollten wir die Platte doch noch einmal in einer unpersönlichen Sonderedition veröffentlichen.

PRINZ: Keine schlechte Idee. Man dankt für das Interview.

Sascha König

WIR SIND HELDEN: „SOUNDSO“
Klarer und aufgeräumter ist ihr drittes Album geworden, verloren hat es dadurch an nichts. „Wir wollten die Dinge mehr auf den Punkt bringen und mit weniger Ideen auskommen, ohne unsere Verspieltheit aufzugeben“, bestätigt Pola Roy. Die Ideen, die umgesetzt wurden, knallen dem Hörer umso direkter ins Gesicht: Schweinerockgitarren, gesprochene Intros oder pseudopathetische Arbeiterchöre. Auch den rührenden und augenzwinkernden Texten von Worttüftlerin Holofernes blieb so mehr Raum zur Entfaltung, was „Soundso“ zum besten aller Helden- Alben macht.