Ich hätte wissen müssen, dass es so enden wird. Ich hätte wissen müssen, dass es keinen anderen Weg gibt.“ So beginnt „I Should Have Known“, der vorletzte Song auf dem neuen Album „Wasting Light“ von den Foo Fighters. Er beschreibt Dave Grohls aktuelles Verhältnis zu seinem Freund Kurt Cobain, und er wird so manchem hartgesottenen Rocker Tränen in die Augen schießen lassen. „Es bedeutet mir viel, wenn das jemand so empfindet“, sagt der charismatische Sänger bei einem Albumlistening Anfang März in Berlin. Er zeigt sich auf diesem Song emotionaler als zuvor. Auf einer Platte, die ansonsten so wütend klingt, so laut, dass man sich beim brachialen Opener „Bridge Is Burning“ schon Sorgen um Grohls Gemüt machen könnte. Aber im Gegenteil: Alles scheint in bester Ordnung. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Mit 42 Jahren, 20 Jahre nach „Nevermind“ und nach einer betont akustischen Phase der Foo Fighters, kann David Eric Grohl endlich herausschreien, was ihn so lange schon belastet hat.

Die Umstände bei der Arbeit an „Wasting Light“ waren optimal, um seine hollywoodreife Vergangenheit aufzuarbeiten: Das Album wurde komplett in der Grohlschen Garage in LA aufgenommen. Denn Grohl wollte erstens das Album analog und ohne Computer produzieren, es sollte bewusst unperfekt und ursprünglich klingen – eben so, wie in einer Garage aufgenommen. Zweitens konnte Grohl so während der Aufnahmen nicht nur seine Bandfreunde um sich herum haben und Bier trinken, sondern auch seine Frau Jordyn Blum und seine Töchter Violet Maye (4) und Harper Willow (1).

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Bevor die Arbeit an den neuen Songs beginnen konnte, musste Grohl nicht nur sein Leben aufräumen, sondern auch seine Garage, in die im Normalfall gerade mal ein Mini-Van passt: Zahllose Pappkartons, ein pinkfarbenes Kinderfahrrad und einen Kühlschrank mit stapelweise Thunfischdosen darauf hat er zur Seite gestellt, um Platz für Instrumente und Equipment zu schaffen. Für ein Studio mitten im Familienalltag: Bei den Aufnahmen kam Violet Maye rein und wollte mit ihrem Papa im Pool schwimmen. Ein andermal unterbrach Grohl die Session, um für Harper Willow das Fläschchen aufzuwärmen. Und weil alte Wegbegleiter und Vorbilder wie Bob Mould von Hüsker Dü oder Motörhead-Sänger Lemmy ohnehin da waren und an dem Album mithalfen, wurden mit allen Bandfamilien riesige BBQs gefeiert.

Es kam außerdem auch zu einer ganz besonderen Konstellation, die die Arbeit zu einer emotionalen Achterbahnfahrt machte: „Wasting Light“ entstand mit „Nevermind“-Produzent Butch Vig, der Nirvana-Tour- und ehemalige Foo-Fighters-Gitarrist Pat Smear ist als festes Bandmitglied zurück, und auf „I Should Have Known“ spielt Grohl zum ersten Mal seit Nirvana wieder an der Seite seines Freundes Krist Novoselic, Bassist und der Mann, der Grohl 1990 zu Nirvana holte. Zu einer Zeit, als die Band durchschnittlich vor zehn zahlenden Gästen spielte. Und Grohl in so wohlklingenden Hardcore- und Punkbands wie den Bad Brains, Freak Baby oder Dain Bramage sein Schlagzeugspiel übte, ebenfalls quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. War wohl auch besser so, war er doch damals nach eigenen Aussagen meist so stoned, dass er nicht mal wusste, was er gerade studierte, und zweitens auch „too fuckin‘ stupid“ zum Notenlesen.

Dave brachte sich das Gitarrespielen und das Trommeln selbst bei: Da er kein Geld für ein Schlagzeug hatte, nahm er stattdessen Kissen und schlug zu Liedern seiner Lieblingsbands mit Drumsticks darauf ein. Damit er überhaupt ein Ergebnis hören konnte, musste er übermäßig viel Kraft aufwenden – der Schlüssel zu seinem bis heute berüchtigt harten Schlagzeugspiel.

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Novoselic gefiel das und so lud er Grohl nach Seattle ein. Der damals 20-Jährige fragte seine Mutter, und die riet ihm dazu: „Ich hatte nur einen Koffer und mein Schlagzeug. Ich habe gehofft, dass alles klappt“, sagt Grohl heute. Und das hat es, obwohl es für ihn zunächst ein ernüchterndes Treffen war: Als er Cobain und Novoselic zum ersten Mal gegenüberstand, dachte Grohl: „Was? Das sollen Nirvana sein, der kleine Kerl und der Lulatsch?“ 1991, genau ein Jahr nach Grohls Eintritt, veröffentlichten Nirvana „Nevermind“, das Album, das ihr Leben ändern sollte. Innerhalb von zwölf Monaten erlangten sie weltweite Beachtung, „Smells Like Teen Spirit“ wurde zur Hymne, bis heute erreichte das Werk Zehnfach-Platin, wurde 20 Millionen Mal verkauft.

Und während der Antiheld Kurt Cobain am Ruhm seines eigenen Schaffens, einer dreifachen Überdosis und einer Schrotflinte 32stirbt und zur Legende wird, mutiert Grohl einfach zum Frontmann und zum „Nicest Man In Rock“. Einfach? Dazwischen liegen Jahre voller Trauer, Depressionen und Rechtsstreitigkeiten mit der Cobain-Witwe Courtney Love. Lange schien es, als hätte der 5. April 1994, der Tag von Cobains Suizid, auch für Grohl alles zerstört. Definitiv ist dieser Tag der Tiefpunkt in seinem Leben – verlor er doch die zweite wichtige männliche Bezugsperson, nachdem sich sein Vater von Daves Mutter getrennt hatte, als er drei war. Ein Psychologe riet dem tief depressiven Drummer nach einem halben Jahr Pause, bei seiner Musik zu bleiben: „Ich wusste nicht, was ich nach Kurts Tod mit meinem Leben anfangen sollte. Ich habe zwölf Lieder auf Cassette aufgenommen, und es war das beste Gefühl: Das ist alles meins.“ Dieses Tape, auf dem Grohl auch selbst singt und alle Instrumente allein einspielt, veröffentlicht er 1995 unter dem Namen Foo Fighters. Obwohl er niemals Frontmann sein wollte.

Und heute, sechs Grammys und sechs Platinalben später? „Wir sind in Spitzenform“, sagt Drummer Taylor Hawkins am Ende des Albumlistenings in Berlin. Und Grohl ergänzt: „,Wasting Light‘ ist unser wichtigstes Album, es definiert die Band.“ Und es rockt: „Auf der Platte sind elf Songs und nicht eine einzige schnarchige Ballade.“ Grohl hat sich vom jungen Schlaks am Schlagzeug zur vielleicht wichtigsten Frontfigur des Rock-Olymp entwickelt. Trotz des Todes von Kurt Cobain. Oder gerade durch ihn? Eine weitere wütende Zeile aus dem Lied „I Should Have Known“ lautet: „I cannot forgive you yet.“ Aber Dave Grohl ist auf dem besten Weg.

Jannes Vahl

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Diskografie

1991: Nirvana „Nevermind“
Eines der wichtigsten Alben des 20. Jahrhunderts: Mit Cobains Weltschmerz, dem folgenschweren MTV-Hit „Smells Like Teen Spirit“ und der Kraft von Grohls Schlagzeug gab es Millionen Kids eine Stimme zwischen der unbändigenWut des Punk und der Sensibilität des Pop.

1997: Foo Fighters „The Colour And The Shape“ Grohl wechselte vom Schlagzeug zum Gesang. Die Musik der Band ist aufgeräumter als auf dem Erstlingswerk und superclean von Perfektionist Gil Norton produziert. Auch hier: Heavy-Rotation- Hits wie „Monkey Wrench“ und „Everlong“ und urkomische Videos als Markenzeichen.

2002: Queens Of The Stone Age „Songs For The Deaf“
Gemeinsam mit seinem Kumpel Josh Homme verausgabte sich Grohl mal wieder am Schlagzeug, dass es eine Freude ist. Für Grohl allerdings ein schwerer Schritt: Bei der Tour hatte er sich zur Erinnerung ein Bild des Nirvana-Bassisten Krist Novoselic an den Platz geklebt.

2004: Probot „Probot“
Eher für Fans als für den Mainstream: Mit dem Metal-Projekt Probot verwirklichte sich Grohl einen Kindheitstraum: alle seine „singenden“ Metal-Helden auf einem Album. Darunter Sepulturas Max Calavera und sein Freund Lemmy Kilmister. Grohl spielte alle Instrumente ein.

2009: Them Crooked Vultures „Them Crooked Vultures“
Noch ein Heldenprojekt: Gemeinsam mit Josh Homme und Led Zeppelins John Paul Jones nahm Grohl ein Album auf und tourte um die Welt. Foo Fighter Taylor Hawkins war darüber nicht sehr erfreut, Grohl umso mehr: „Ich habe Led-Zeppelin-Tattoos, das war aufregend!“

2009: Nirvana „Live At Reading“
Erst 2009 veröffentlicht, weil Cobain-Witwe Courtney Love den Nachlass verwaltete. Bei diesem legendären Auftritt von 1992 zeigten Grohl, Novoselic und Cobain (der in einem Rollstuhl auf die Bühne geschoben wurde), was sie so wichtig machte: schonungsloser Grunge.

2011: Foo Fighters „Wasting Light“

In Grohls Garage, zwischen rosa Kinderrädern und Pappkartons analog aufgenommen, entstand das härteste FF-Album aller Zeiten, das auch Platz für große Emotionen lässt. Grohl schreit, die Band ist in Spitzenform, keine Ballade.