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$ick (Autor von „Shore, Stein, Papier“) im Interview

Eine Autobiographie eines Ex-Junkies aus der Drogenszene Hannovers wird zum Bestseller. Der Autor, der nur unter dem Alias $ick auftritt, wurde durch sein schonungsloses Berichten ohne moralischen Zeigerfinger bekannt und gewann mit der Youtube-Serie „Shore, Stein, Papier“ den Grimme Online Award 2015.

$ick blickt zurück auf eine über 25 Jahre andauernde Drogenkarriere. Nach deren hart erkämpftem Ende erzählt er seine beeindruckende Geschichte in der autobiographischen Youtube-Serie „Shore, Stein, Papier“ (Heroin, Koks und Geld) – und wird dafür 2015 mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. Das gleichnamige Buch wird zum Bestseller und begeistert auch live mit seiner Bühnenshow – einem Mix aus Lesung, Video und Bild. Im Interview spricht $ick über Aufstieg, Fall und Aufstieg in eine ganz neue „Drogenkarriere”.

Dein Auftritt in Leipzig im Februar war ausverkauft, für April ist eine Zusatz-Show angesetzt. In Dresden warst du bereits – Hast du schon Erfahrungen mit diesen beiden Ost-Metropolen?

Ich war schon in Leipzig auf der Bühne und war sehr begeistert, das Haus war voll und die Leipziger sind ein brutal gutes Publikum. Deswegen freue ich mich sehr, dass das auch diesmal wieder so gut funktioniert und ich nun sogar noch eine Zusatz-Show spielen darf. Auf Dresden bin ich gespannt, ich hab mir sagen lassen, dass das im Osten generell überall so ist, dass die Leute einfach total gut feiern können. Davon lasse ich mich gern überzeugen!

Du bist Phoenix-aus-der-Asche-mäßig zum Star avanciert. Ist das nicht ein bisschen schräg für dich, auf einmal so im Rampenlicht zu stehen?

Es ist in der Tat immer noch seltsam, sowas zu hören. Tatsächlich sprechen die Klickzahlen und die Kommentarkultur bei den Videos ja aber für sich. Ich hab damals davon nichts erwartet, ich hab einfach mitgemacht, weil mein guter Freund Ramon Diehl, der Geschäftsführer von 16BARS, mich gefragt hat, ob ich meine Geschichte vor der Kamera erzählen will. Ich kam da gerade mal wieder aus der Entgiftung, einer freiwilligen – also man musste mich da schon nicht mehr verhaften, damit ich aufhöre, Drogen zu nehmen. Ich habe zu der Zeit den Konsum schon möglichst gering gehalten und eher darunter gelitten, als dass ich das noch gefeiert hätte. Auch die Ersatzstoffe haben zum Teil zu Vergiftungserscheinungen geführt und ich bin immer deprimierter geworden. Trotzdem hab ich immer wieder versucht zu entgiften und bin jedes Mal, direkt, wenn ich aus der Klinik kam, ins Taxi gestiegen und auf die Szene gefahren…

Ein Mal war es aber so, dass ich ein paar Tage vorher mit meiner Mutter telefoniert habe und sie wissen wollte, wie der Tag meiner Entlassung aussehen wird – und mir ist dann rausgerutscht, wie es eben im Normalfall aussieht. Und dann hat sie gesagt: Okay, diesmal steigst du nicht ins Taxi, sondern bei mir ins Auto. Und dann hat sie mich abgeholt, wir sind mit meiner Tochter und den Hunden ins tiefste Bayern gefahren und haben da zwei Wochen an die Entgiftung dran gehängt. Da kannte ich kein Schwein, bis zum nächsten Hof waren es 1,5 km und der hatte bestimmt auch kein Heroin da, der Bauer (lacht).

 „Ich folge dem Prinzip ,Tatort’ – direkt am Anfang wird der Leser mit in die Scheiße gezogen“

Hattest du gar keine Angst, dass es auch negative Konsequenzen haben könnte, deine Geschichte öffentlich zu erzählen?

Nee, ich bin relativ stumpf an der Stelle. Wem das nicht passt, dem passt es nicht. Und Kommentare im Netz kann ich nicht persönlich nehmen. Wenn die auf Angriff zielen, weiß ich, dass die Person mich nicht kennt und dass sowas auch einfach schneller geschrieben ist als vielleicht ein „Danke, du hast bei mir was verändert“. Ich bin davon aber in meiner Internet-Karriere, wenn man das so nennen will, nie wirklich belastet gewesen. Das ist eigentlich durchweg eine positive Kommentarkultur, und wenn wirklich mal jemand meint, da haten zu müssen, wird der direkt von der Community selbst zur Raison gerufen, bevor ich das überhaupt mitgekriegt habe.

Und wie war das für dich? Was hat das mit dir gemacht?

Die Serie, das chronologische Sortieren meiner Geschichte, war das wichtigste, was da passiert ist. Dadurch habe ich verstanden, warum die Dinge gelaufen sind, wie sie gelaufen sind und welche Ereignisse maßgeblich waren. Paul, der Regisseur, ist ein wahnsinnig guter Zuhörer und hat mir auch Dinge entlockt, bei denen ich sonst immer gelogen habe. Wo ich immer dachte: Nee, das kannst du keinem erzählen, das musst du schönreden, wegreden oder das ist einfach nicht passiert. Einfach, um selber damit klar zu kommen. Die ersten zwei Staffeln sind noch lustig für mich – das Entstehen der Sucht, die Entdeckung der Opiate, die Jungs, die Einbrüche. Selbst der erste Knast ist noch geil. In der dritten Staffel fängt dann meine Koks-Phase an. Es ist das erste Mal, dass ich das laut ausgesprochen habe. Wenn mich früher einer gefragt hat, ob ich kokse, habe ich gesagt: Ja. Und die nächste Frage war dann direkt: Hast du was dabei? Dann gib mal! Paul hat mich das auch gefragt, und dem habe ich erzählt, wie ich wirklich unterwegs war. Dass ich zehn Monate nur geballert habe, nur noch 48 Kilo gewogen habe und 180 Einstichstellen hatte, am ganzen Körper, von den Handgelenken bis zu den Ohren, dass ich mir selber den Schuss schon gar nicht mehr setzen konnte und das jemand anders machen musste. Ich hab auch geheult, während ich das erzählt habe, Paul auch. Das war wirklich ehrliche Aufarbeitung. Ich hab mich nicht gezwungen gefühlt, sondern ich hatte das Gefühl, ich darf darüber sprechen. Während der Staffel habe ich dann auch richtig heftige Depressionen bekommen, über Monate nur noch geheult. Was ich aber wusste war: Wenn ich durch bin mit der Heulerei, dann muss ich das mit den Videos zu Ende bringen, auch wenn ich noch nicht mal bei der Hälfte angekommen war. Die Zuschauer konnten genau verfolgen, was diese Aufarbeitung mit mir macht – dass da plötzlich gar nichts mehr ist von Freude. In der vierten Staffel sieht man mir an, wie ich mich gerade so halbwegs vom Erzählen der vorherigen Staffel erhole. Dass man das erleben kann, macht es greifbar und da entwickeln offenbar Leute echt die Geduld, mir zwei Tage, 17 Stunden lang zuzuhören, wenn sie sich das alles anschauen. (lacht)

Man kann dir aber tatsächlich ganz gut zuhören. War das schon immer ein Talent, erzählen zu können?

Ja, schon. Ich hab das früher halt an verkehrter Stelle genutzt. Seit ich in der Jugendanstalt Hameln mein erstes Rap-Tape in den Händen hatte – Moses P., Schwester S. und so –, hatte ich auch schon den unterschwelligen Wunsch, Künstler zu sein. Aber ich war das dann an anderer Stelle, ich hab durch mein Reden sehr viel erreicht im Leben – auch wenn das nicht immer was Positives war. Aber es zeigt mir heute: Du bist dein ganzes Leben schon so. Ob mit Drogen oder ohne. Ich hab beschissener ausgesehen auf Droge, hatte aber vermutlich trotzdem mehr Überzeugungskraft; einfach, weil ich natürlich ein Ziel verfolgt habe, nämlich Geld. Das wirklich Schwierige ist, Emotionen in Worte zu fassen. Das musste ich erst lernen. Ich hab den Scheiß zwar gefühlt, aber ich weiß doch nicht, wie der heißt. (lacht) 

 Das wirklich Schwierige ist, Emotionen in Worte zu fassen. Das musste ich erst lernen. Ich hab den Scheiß zwar gefühlt, aber ich weiß doch nicht, wie der heißt.  

Was wird es bei deiner Show zu hören geben?

Ich lese natürlich aus dem Buch vor, es wird aber auch musikalische Einlagen geben und die eine oder andere Überraschung. Es gibt auch so einige Passagen, auf die ich mich richtig freue, weil ich da mein altes Ich wieder total raushängen lassen kann. Das bin ich heute zwar nicht mehr, trotzdem macht das schon verdammt viel Spaß, nochmal so richtig auf die Kacke zu hauen.

Denkst du nicht, dass eben dieser „coole“ Aspekt deiner Geschichte Leute eher so sehr fasziniert, dass sie sich zum Nachahmen angeregt fühlen – ähnlich wie damals bei Christiane F.s „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“?

Eher nicht. Ich folge in meinem Buch dem Prinzip „Tatort“ – direkt am Anfang wird der Leser mit in die Scheiße gezogen. Das macht die Glorifizierung vielleicht schwieriger.

Was ist von dir in naher Zukunft zu erwarten?

Ich mache weiterhin meine Präventions-Seminare, die sehr gut laufen, habe einen Verein (Stigma e.V., Anm. d. Red.) gegründet und arbeite am neuen Buch. Ansonsten freue ich mich sehr auf die Tour und die Dinge, die da kommen!

TERMIN: „Shore, Stein, Papier – Alles andere als eine Lesung 2018” | 24.4. | 20 Uhr | Naumanns

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