
Es ist ein regnerischer Mittwoch. Auf der Terrasse des Fährhauses wuseln zahlreiche Servicekräfte umher und tragen Bratkartoffeln und Latte Macchiatos an die Tische. Hin und wieder schieben sich nassgeregnete Touristen durch den schmalen Spalt des zeltähnlichen Eingangs. Hier auf der Veranda sind die Worte und Hymnen, die aus den Lautsprechern kommen, am besten zu hören. Sie sind Teil der eigentlichen Attraktion – der einzigartigen Schiffsbegrüßungsanlage.
Täglich von neun Uhr morgens bis zum Sonnenuntergang werden beim Willkomm Höft in Wedel zahlreiche Schiffe beim Einlaufen und Verlassen Hamburgs mit ihrer Nationalhymne begrüßt und verabschiedet. Verantwortlich dafür sind die Begrüßungskapitäne, zu denen auch Helmut Fengler zählt. In einem winzigen Raum gegenüber der Restaurantküche ist sein Arbeitsplatz. Zwischen massiven Eichenmöbeln und alten Technikpulten mit bunt leuchtenden Knöpfen steht er vor einem riesigen Karteikartenregal. „Das sind etwa 16.000 Stück. Darauf sind die wichtigsten Informationen aller Schiffe verzeichnet, die jemals in Hamburg waren und noch Wasser unterm Bug haben“, erklärt Fengler mit freundlichem Blick.
Helmut Fengler ist Rentner. Seit drei Jahren kommt er an fünf Tagen im Monat zum Arbeiten ins Fährhaus. Für ihn ist der Job ein Zeitvertreib, keine Passion: „Da ich weder Briefmarken sammle, noch kegeln gehe, musste ich mir eine Beschäftigung suchen.“ Als Wedeler war ihm die Schiffsbegrüßungsanlage vertraut. Bei einem Besuch fragte er nach, ein paar Tage später hatte er den Job. „Ich arbeite gern hier, aber mit Romantik hat das nichts zu tun“, sagt Fengler. Ähnlich nüchtern blickt er auf seine Zeit als Postangestellter zurück. 40 Jahre war er dort, bis er frühzeitig in den Vorruhestand ging. „Der Job hat mich ernährt, mehr nicht“, erklärt der Rentner.
Gelassen lehnt er an seinem Pult. Ein Fax vom Schiffsmeldedienst kündigt das nächste Schiff an. Während er die Karteikarten und Nationalhymnen durchsucht, treten hin und wieder neugierige Touristen ein. Sie bestaunen den Kapitän und seinen außergewöhnlichen Arbeitsplatz. Väter erklären ihren Kindern, was hier passiert. Einige zeigen mit dem Finger auf die drei Bildschirme in der Ecke, andere auf das große Kassettenregal mit etwa 150 Nationalhymnen. Eingesetzt werden die staubigen Tonträger nur noch im Notfall; heute übernimmt ein Computer ihre Aufgabe.
Die meisten Besucher wollen wissen, wann das nächste Schiff vorbeikommt. Fengler antwortet routiniert und freundlich, doch hin und wieder rollt er mit den Augen. Er mag es, wenn sich Leute ernsthaft interessieren und wissen wollen, wie Dinge funktionieren. Für diejenigen, die wenig Zeit mitbringen und nur schnell ein Schiff sehen wollen, hat er wenig Verständnis. Aus dem sonst so redefreudigen Rentner wird dann ein kurz angebundener, kesser Kapitän.

Ein Schiff fährt vorbei und gibt Signal. Beinahe hätte Herr Fengler vergessen, zum Gruß die Hamburger Flagge zu hissen und die Nationalhymne zu spielen. „Am liebsten mag ich die italienische Hymne. Die ist so schön beschwingt“, sagt er. In Italien ist er noch nie gewesen. „Wir machen seit 20 Jahren Urlaub in unserem Haus in Dänemark. Da komme ich nicht drum herum“, sagt er und zwinkert mit einem Auge. Seit fünf Jahren fahren Fenglers außerdem nach Andalusien. „Wir mögen eine gewisse Beständigkeit“, gesteht der Senior. „Falls wir in unserem Stammhotel kein Zimmer bekommen, muss der Urlaub eben verschoben werden.“
Die letzten Töne der Nationalhymne verklingen. Herr Fengler greift zum Mikrophon: „Meine Damen und Herren, wir begrüßten den unter liberianischer Flagge fahrenden Frachter Eastern Bay – ein Kühlschiff, das uns die Bananen bringt. Es ist 142 Meter lang, 22 Meter breit und mit 17 Knoten unterwegs.“ Er spricht mit tiefer, klarer Stimme. Draußen auf der Terrasse halten die Gäste kurz inne, hören zu und schauen auf’s Wasser. Ein paar Kinder stehen in der Tür des Schiffsbegrüßers und beobachten ihn aufmerksam.
„Mein Enkel glaubt, dass ich ein echter Kapitän bin. Er ist fünf und lässt sich von der Uniform blenden“, sagt Fengler schmunzelnd. Einigen Besuchern des Schulauer Fährhauses geht es genauso, obwohl der adrette Senior offen zugibt, kein Kapitän im eigentlichen Sinne zu sein.
Die Seefahrt hat ihn nie gereizt, trotzdem machen Fenglers neuerdings Kreuzfahrt-Urlaub. „Ich muss das zwar nicht haben, aber meine Frau mag es“, flüstert der 72-Jährige. Nächstes Jahr geht es wieder auf’s Kreuzfahrtschiff. Und Goldene Hochzeit wird auch gefeiert. Wo? „Vermutlich in Andalusien“, sagt Fengler nüchtern.