Ein eher zufälliges Detail verrät, dass die Macher vom Uebel & Gefährlich auch beim „Golem“ ihre Hände im Spiel haben: die nüchterne Betondecke. Ansonsten ist die Bar fern des Tageslichts und nahe dem Fischmarkt ein etwas anderer Amüsierort für Freunde feiner Drinks und ernsthafter Gespräche. Dort, wo sich ehemals im Headbangers Ballroom Metalfans die Köpfe schwindelig schüttelten, werden nun smarte Vintage-Cocktails von „Tom Collins“ bis „Green Point“ gereicht, um die Sinne zu benebeln. Dazu eine lange verführerische Theke und Kerzen, überall Kerzen. Ein Ort, an dem sich auch Serge Gainsbourg und Dorothy Parker wohlfühlen würden, oder Leonard Cohen und Tilda Swinton. Menschen, die auch im größten Suff noch Stil zeigen an einem Ort, von dem man glaubt, ihn vermisst zu haben, wenn man ihn das erste Mal sieht. Tino Hanekamp, einer von drei „Golem“-Schöpfern und U&G-Machern, sieht hier das Besondere: „Die Getränke sind ganz ausgezeichnet, die Gäste vorzüglich, es gibt eine Jukebox, ein altes Klavier, Bücher und einen schönen Holzfußboden, über den man sich nackt wälzen möchte.“ Hanekamp gefällt die Vorstellung des Sündenpfuhls. Spaß beiseite, die Herren, neben Tino Hanekamp Alvaro Piña Otey und Wolf von Waldenfels, meinen es Ernst. Weil es ihrer Ansicht nach in Hamburg sonst kaum einen Ort gibt, an dem Drinks und Ambiente stimmen, schufen sie ihn selbst. Eine gefühlten Notwendigkeit, der die drei nicht zum ersten Mal nachkommen. Nach dem Abriss des Krankenhauses am Nobistor, in dem von Waldenfels das KdW, Hanekamp und Piña Otey bis 2005 die Weltbühne betrieben, zog man in den Bunker an der Feldstraße und schuf das U&G. Das Konzept, immer ein bisschen anders, immer ein bisschen weiter als normal, das die Weltbühne zur besseren Wohnzimmeralternative gemacht hatte, nahm man mit, auch wenn Hanekamp Pläne gern bestreitet.

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Heute zählt das U&G zu den besten Musikclubs Deutschlands. 2009 offiziell ausgezeichnet mit dem Live Entertainment Award, einem schillernder Preis, den man stolz in der Vitrine hervorrücken kann. Bloß gibt es im U&G keine Vitrinen. Nur sehr viel Beton und die hauseigene Deko, in der sich Putten an Rasierklingen schneiden. Heute finden hier an einem Tag ein kleines, feines Folkkonzert im Turmzimmer und am anderen ein das Tanzflächenherz erfreuender Club statt. Partys wie „Butterland“ oder „Revolver Club“ ziehen das Publikum, dem manches Geheimtipp- Konzert-Näschen noch fehlt. Weil aber das beste Clubkonzept keins ist, lesen in der Woche darauf Ferris MC und Pheline Roggan Thomas Bernhard – oder Erobique fordert auf der sonnenbeschienenen Dachterrasse zum „Sömmerchen der Liebe“ auf. Warum die drei Tunichtgute, wie sie sich selbst gern bescheiden nennen, ein so gutes Händchen im Booking und im Glücklichmachen haben, führt Hanekamp auf eigene Ahnungslosigkeit zurück: „Unser Nichtwissen in Kombination erzeugt irgendeine Art von Energie, die wir nutzen, um dies und das zu machen, und dann funktioniert das auch noch“, wundert er sich, aber nicht zu lange. Denn „immer weitermachen, das ist das Geheimnis“. Immer weitermachen, das hat sich Hanekamp wohl auch für seine literarische Laufbahn gedacht und ein Buch geschrieben.


„So was von da“ erscheint im März und erzählt die Geschichte von Oskar Wrobel, der einen kurz vor dem Abriss stehenden Musikclub am Ende der Reeperbahn betreibt und nun vor den Fragen steht: Was soll das? Warum? Und wie wird man ein guter Mensch? Wrobel ist kein Alter Ego seines Autors, aber auch dieser will ein guter Mensch sein. „Gibt es etwa Leute, die nicht jeden Tag versuchen, ein guter oder zumindest besserer Mensch zu werden?“, fragt Hanekamp. Anders formuliert ist kulturelle Mitverantwortung für die U&G-Betreiber nicht bloß eine Floskel: Egal ob die Mitwirkung am „Das Recht auf Stadt“-Aktionismus, Support für Viva con Agua oder Benefizkonzerte – das Herz schlägt subkulturell, und Hanekamp weiß auch, warum: „Weil ja ständig überall irgendeine Scheiße abläuft. Und wenn man da als Musikclub ein klein wenig mithelfen kann, die Scheiße wegzuschaufeln, dann macht man das mit dem größten Vergnügen.“ Nun hat der Musikclub also Zuwachs bekommen: Bei der Eröffnungsparty ist das „Golem“ bis weit nach Mitternacht rappelvoll. Da sind nicht nur Trinkfreudige gekommen, sondern auch Freunde und welche, die es noch werden können. Bei den Lesungen und Livemusikabenden, die das Betreiber-Trio plant, zum Beispiel. Für Musik sorgt statt eines DJs die knallrot leuchtende Jukebox, gefüllt mit 50 Playlisten, die größenteils von prominenten Musikern zusammengestellt wurden. Man kann sich hier bei Erschöpfung auf die weich gepolsterten Sitzbänke sinken, ohne von „Knallbirnen vollgelallt“ zu werden, wie die Macher garantieren. Das Ziel ist es, „total ernsthafte Gespräche in total besoffenem Zustand zu führen, wofür eine gewisse Meisterschaft in den beiden Disziplinen erforderlich ist“, sagt Hanekamp. „Die Nacht soll funkeln.“

Text: Verena Reygers