RUND UMS STEINTOR

„Rotlicht, Redakteure, Revolutionen“ – so lautet der Titel einer beliebten Führung von Stattreisen, in der das Steintorviertel erkundet wird. Dieser Spaziergang ist einer der spannendsten der Stadt, denn auf engstem Raum koexistieren in diesem schillernden Quartier Hannovers Rotlichtbezirk, das Medienzentrum der Stadt, „Klein-Anatolien“, die wohl größte Dichte an PC-Shops und die Keimzelle des schwulen Nightlifes. Da die nächste Führung erst im März ansteht, machen wir uns selbst auf den Weg. Los geht’s an der Haltestelle der letzten beiden rein oberirdischen Straßenbahnlinien: Die italienischen Architekten Francesco und Alessandro Mendini schufen am Steintor eine imposante gelb-schwarze „Lego-Landschaft“. 20 Meter lang, massiv, mit goldenen Türmchen auf den Ecken. Es ist wohl der auffälligste und kühnste der von Designern zur Expo entwickelten „Busstops“. Nur: Busse halten hier nicht, sondern die Stadtbahnlinien 10 und 17.

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Direkt gegenüber leuchten strahlend blau die Neonröhren des Anzeigerhochhauses. Dort erschien erstmals „Der Spiegel“, heute beherbergt es ein Kino unter seiner Kuppel und dient der City-Redaktion der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (wieder) als Sitz. Hinter dem ersten Hochhaus der Stadt werkeln in einem weitläufigen Karree diverse Radio-, TV- und Zeitungsredaktionen an ihren Sendungen und Blättern. Erst vor wenigen Wochen ist das neue Medienzentrum fertig geworden, das mit seiner bunten Fassade ein Blickfang an der Langen Laube ist. Nicht zufällig thronen goldene Turmspitzen auf dem Gebäude, denn auch hier waren die Brüder Mendini als Architekten am Werk und nehmen so die Formen „ihres“ Busstops wieder auf.

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Südlich des Medienzentrums präsentiert sich das Steintorviertel zweigeteilt. Während direkt an der Goethestraße zwischen Steintor und Clevertor mehr Türkisch als Deutsch gesprochen wird und nahezu rund um die Uhr Döner zu haben sind, ist das Rotlichtviertel fest in deutscher Hand. Frank Hanebuth zieht hier die Strippen, und nicht zuletzt dank guter Beziehungen zu Hannovers gehobenem Bürgertum ist es ihm gelungen, aus dem Steintor ein Vergnügungsviertel zu machen. Als eigentlicher Partypionier ist jedoch Ingo Gembalies zu nennen, der im September 2000 mit dem Heart break Hotel den ersten Club in der Reuterstraße eröffnete. Inzwischen wird an zahlreichen Orten geflirtet, gebaggert, getrunken und gefeiert. Die musikalische Vielfalt, freier Eintritt und die Möglichkeit, mit einem Bier in der Hand von Club zu Club zu tingeln, haben zum Erfolg geführt.

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Doch Hannovers Steintor bedeutet nicht nur Szene-Clubs, „sondern auch Huren, Zuhälter, Döner-Läden, Pornokinos, Kioske und schräge Typen“, wie es die monatlich erscheinende Quartiers-Gazette „Steintor News“ auf den Punkt bringt. Zurück zur Langen Laube: Eine Szene ganz anderer Art findet hier ihr Paradies. In wohl keiner anderen Straße der Stadt ist eine höhere Dichte an PC-Hardware- und Handyläden zu verzeichnen als zwischen dem „Neuen Steintor“- Komplex, das den Elektronik-Spezialisten Conrad beherbergt, und dem Allianz-Hochhaus. Erstaunlich, dass auch in Zeiten des Internethandels gleich neun PC-Läden in einem Straßenzug von weniger als 500 Metern Länge zu finden sind. Kaum noch präsent ist hingegen die schwule Szene, die hier noch vor wenigen Jahren fest verankert war. Einzig das Café Caldo (s. auch Bar-Guide ab Seite 99) zieht noch „die Schönen und die Schwulen“ an; das gegenüberliegende Cup und der Vulkan, Hannovers einzige rein schwule Disco, haben ihre Tore inzwischen geschlossen. Auch die nicht weit entfernte Men’s Factory hat die Männer aus ihrem Namen gestrichen. „Gays, Lesbians and Friends“ zieht es heute auf die großen, schicken Partys im Acanto und anderswo.