Südlich von Leine und Ihme liegt jener Stadtteil, dessen Einwohner sich trotz der Eingemeindung 1920 nicht als Hannoveraner bezeichnen würden: Linden, einstige Industriestadt, das sich in Mitte, Süd und Nord unterteilt. Während mit Linden-Mitte der Schwarze Bär und mit Linden-Süd gerne das verfallene Hanomag-Gelände assoziiert werden, steht für Linden-Nord die Limmerstraße. Die wohl belebteste Straße in ganz Linden scheint nie völlig zur Ruhe zu kommen. Bei einer Tasse Kaffee im Café „Bar“ bietet sich ein herrlicher Blick auf das bunte Treiben der Straße, die am Küchengarten als Fußgängerzone ihren Ursprung hat und sich, wie es der Name erahnen lässt, bis nach Limmer zieht. Dabei sind die Menschen, die sie begehen, mindestens so bunt gemischt wie die Geschäfte, die sie einrahmen. Neben einem hohen Migrantenanteil findet man Arbeiter, Studenten, Punks, Alt-Hippies, Intellektuelle und Künstler.

Nicht nur die vergleichsweise niedrigen Mieten machen die Gegend so attraktiv, sondern auch diese spezielle Mischung aus Kreativität und politischer Linksorientierung aller Schattierungen – und nicht zuletzt, dass Linden- Nord einfach alles bietet, was man zum Leben braucht. So findet man an der Limmerstraße neben Lebensmittelläden, Buchhandlungen und Friseursalons zahlreiche Deko-Geschäfte und individuelle Bekleidungsshops, die mit viel Einfallsreichtum überzeugen – das Viertel zählt zu den kreativsten der Stadt. Doch auch in Sachen Gastronomie und Nightlife kann Linden-Nord mithalten. Neben vielen Tagescafés sorgen auch Bars wie die der „Waschweiber“ für Flüssigkeitsnachschub. Von Mittag bis in den späten Abend kann man hier nicht nur seine Wäsche vom Dreck befreien, sondern sich den Waschgang mit leckeren Cocktails versüßen. Wer die Nacht zum Tag machen will, der begibt sich zum Faust-Gelände, dem soziokulturellen Herz Lindens, das mit drei Veranstaltungshallen Nachtschwärmer und Kulturfreunde gleichermaßen erfreut. Wo sich heute die Kunst- und Partyfreunde tummeln, wurde bis vor einigen Jahren noch harte Arbeit geleistet.

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Unter dem Motto „Erst Federn machen das Bett zum Bett“ fertigte das Traditionsunternehmen Werner & Ehlers Bettfedern und gehörte bis in die 1950er Jahre zu einem der erfolgreichsten Anbieter in ganz Deutschland. Trotz zunehmender Automatisierung und harter Sparmaßnahmen musste das Unternehmen 1990 endgültig Konkurs anmelden. Der Stimmung in der Faust tut das jedoch keinen Abbruch. Tagsüber gibt’s Diskussionen, Ausstellungen und Flohmärkte, abends steigen in der 60er-Jahre-Halle und in der Club-Kneipe Mephisto heiße Partys.
Über den Morgen nach einer durchzechten Nacht macht man sich hier wenig Sorgen, denn mit dem Balzac auf der Limmerstraße ist das Überleben am nächsten Tag gesichert. Für „Auslinder“ bietet die allseits gegenwärtige Straßenbahn eine sichere Möglichkeit, nach Hause zu kommen. Und für die wichtigsten Tagesinformationen sorgt Hannovers Lokalradio Flora, das ebenfalls auf dem Faust-Gelände angesiedelt ist.

Wem das Partyprogramm der Faust zu hart und das Unterhaltungsprogramm der Waschweiber zu weich ist, macht sich einen schönen Abend im Apollo-Kino. Die urige Location zählt zu den ältesten Vorstadtkinos in ganz Deutschland – und zu den gemütlichsten. Bevor man sich für einen der abseits des Mainstream gelegenen Filme entscheidet – oder versucht, eine Karte für Desimos (ständig ausverkauften) Lindener Spezial Cub zu ergattern -, kann man sich beispielsweise im Fischers mit mexikanischen Speisen Stärken.Wer es exotisch mag, der wird auf der Limmerstraße garantiert fündig. Zum Wiederkommen lädt auch das alljährlich stattfindende Fährmannsfest ein, das in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen am Mündungsufer der Ihme feiert. Die Alternative zu Hannovers Maschseefest wird gerne auch „kleines Woodstock“ genannt, bringt es doch zu alternativen Musikklängen alle Bevölkerungsschichten zusammen. Das Konzept geht auf: Von Jahr zu Jahr finden immer mehr „In- und Auslinder“ zusammen, um gemeinsam das Lindener Leben zu genießen.

Dominic Rose