Was genau ist eigentlich alt an der Altstadt? Viele der Fachwerkfronten sind nicht mehr als Attrappen. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg standen nur noch etwa vierzig historische Häuser zwischen Leine, Marstall, Schmiede und Karmarschstraße. Die restlichen Gebäude wurde aus anderen Straßenzügen dorthin versetzt, integriert als Fassaden für Neubauten oder, wie die Häuser rund um die Kreuzkirche, im historischen Stil neu errichtet. Lediglich die Markt- und Kreuzkirche, das Alte Rathaus und einige wenige Fachwerkhäuser sind die wirklich alten Gebäude des Quartiers. Trotz historischer Bausubstanz zeigte sich die Altstadt in den Sechzigern und Siebzigern als ein anpassungsfähiges Viertel. Stadtimagepfleger Mike Gehrke etablierte 1967 am Hohen Ufer den ersten Flohmarkt Deutschlands. Wenige Jahre später begann mit den damals umstrittenen Nanas der Einzug der Kunst auf Hannovers Straßen, zeitgleich fand das erste Altstadtfest statt. Der „Rote Faden“, eine Art Do-It-Yourself-Reiseführer der Sehenswürdigkeiten, wurde aufs antike Pflaster gemalt.

Mit diesen Attraktionen war Hannover, besonders der Bereich Altstadt, seiner Zeit weit voraus. Wer ausgehen wollte, kam an der Altstadt nicht vorbei, denn die heutigen Szeneviertel Linden, Nordstadt und das Steintor lagen noch im Dornröschenschlaf. Wer individuelle Mode suchte, wurde in den zahlreichen Boutiquen des Viertels fündig. Mit den Neunzigern kam die Flaute für die Altstadt. Die Gastronomie in anderen Stadtteilen lebte auf, Livemusikläden wie Leine-Domizil und Flohcircus konnten bei den neuen elektronischen Musiktrends nicht mithalten. Die kleinen Kneipen in der autofreien Altstadt hatten weniger Besucher – die Szene ging lieber in die neuen Bars zum Cocktailschlürfen. Und so saßen in der Altstadt nur noch die, die schon immer da gesessen hatten, neue Kundschaft wuchs nur spärlich nach. Doch spürt man in den letzten Jahren einen frischen Wind in den historischen Gassen. Noch keinen Sturm, aber immerhin ein Lüftchen – so etabliert sich die Altstadt mehr und mehr als Open-Air-Location.

Weiter geht’s auf der nächsten Seite.

Ob „Jazz am Ballhof“, „Feuer und Flamme“ oder die vielfältigen Tanznächte, der Ballhof putzt sich heraus. Zum seit vierzig Jahren etablierten Teestübchen haben sich jetzt das gut besuchte Restaurant Vienna und der groovige Ballhofclub 3Raum gesellt. In den beiden Spielstätten des Staatstheaters wird schwerpunktmäßig Theater mit jungen Themen serviert. Und auch in der Knochenhauerstraße hat sich einiges getan: Neben urigen Kneipen wie dem Alt Hanovera und Lehner’s Wirtshaus finden sich Läden wie die mediterrane Café-Bar Celona, das Malcafé Anniway (zu erkennen an den bunten Stühlen an der Hausfassade), das gemütliche Gay-Café Konrad und die knallrot dekorierte Fire Bar, in der regelmäßig Gaypartys stattfinden. Nach wie vor ist der Samstag der lebendigste Tag in der Altstadt. Gut lässt sich ein sommerlicher Bummel über den Flohmarkt mit einem Essen im griechischen Restaurant Aresto oder seinem italienischen Nachbarn Bei Mario verbinden – neben leckeren Gerichten bieten beide direkt an der Leine die schönsten Terrassen Hannovers. Spätaufsteher finden in einem der zahlreichen Cafés der Fußgängerzone ein sonniges Plätzchen zum Frühstücken.

Und wie geht es mit der Altstadt weiter? In zwei Jahren wird am Hohen Ufer ein luxuriöses Hotel mit mehreren Restaurants eröffnen. Der Platz um die Marktkirche soll verschönert werden, und es wird die Wiederbelebung der Uferterrasse am Leineufer diskutiert, etwa mit einem Beachclub. Gastronomie, wohin man schaut. Denn für hippe kleine Mode- und Designgeschäfte, wie sie sich verstärkt am Lindener Markt und in der Nordstadt ansiedeln, ist das historische Pflaster schlicht zu teuer. Die Mietpreise sind doppelt so hoch wie in den Szenevierteln, mehr zu verdienen gibt es hier jedoch nicht: Nur wenige Hannoveraner finden unter der Woche zum Bummeln hierher, sicher auch, weil Parkplätze rar und teuer sind. Entwickelt sich die Altstadt also zum Ausgehviertel für Tanzwütige und Touristen?