Mehr als nur Musik – Wie deutscher Rap eine Generation prägt

Das Thema Deutschrap wird immer wieder auch in den Mainstreammedien verhandelt und prägt alleine deshalb schon eine Generation und Hörerschaft, die sich mit den Musikern mitunter verbunden fühlt. Die Vorwürfe gegen die beiden Rapper Kollegah und Farid Bang im vergangenen Jahr 2018 stellen dafür wohl eines der besten Beispiele dar.

Im April 2018 wurden die beiden Rapper für ihr Album „Jung, brutal, gutaussehend 3“ mit dem Musikpreis Echo ausgezeichnet. Der Preis wurde ihnen verliehen, weil sie in der Kategorie „Hip‑Hop/ Urban National“ die meisten Verkäufe erzielt hatten. In einem der Songs auf dem Album findet sich allerdings die Zeile „Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen“, die unter anderem von einigen anderen Musikern und öffentlichen Personen als antisemitisch eingestuft wurde. 

Die Empörung war daraufhin groß und einige andere Musiker gaben ihre Preise sogar zurück. Der Bundesverband Musikindustrie, der den Echo veranstaltet und organisiert, entschuldigte sich daraufhin zwar für die Preisvergabe, diese Entschuldigung schien als Geste aber nicht genug. In einer Mitteilung des Branchenverbandes hieß es daher knapp zwei Wochen nach der Preisverleihung, in einer außerordentlichen Sitzung am Vortag in Berlin sei beschlossen worden, dass es den Echo zukünftig nicht mehr gebe. Der Echo sei „viele Jahre ein großartiger Preis und zugleich zentrales Branchenevent mit vielen bewegenden Momenten und herausragenden Künstlerinnen und Künstlern gewesen. Die Marke ECHO sei [allerdings] so stark beschädigt worden, dass ein vollständiger Neuanfang notwendig sei, der auch eine Neuaufstellung bei ECHO KLASSIK und ECHO JAZZ nach sich ziehe.“ 

Eine einzige Textzeile zweier Rapper war also in der Lage, eine der größten Musikpreis-Veranstaltungen Deutschlands aufzulösen. Musikpreise sollten nicht als Plattform für Antisemitismus, Frauenverachtung, Homophobie oder Gewaltverharmlosung wahrgenommen werden, hieß es. Derartige Fehler wolle man in Zukunft vermeiden. 

Spannend ist die Frage, ob es Sinn macht, den Rappern tatsächlich die Schuld am Aus der Veranstaltung zu geben. Indem sich diverse Medien mit dem Thema beschäftigen und der Eklat sich auch in sozialen Netzwerken verbreitete, bekam die Generation der jüngsten Zuhörer zu spüren, dass „Kunst“, unter die auch die Musik fällt, selbst heute noch eine Tätigkeit ist, deren Grenzen und Freiheiten immer wieder diskutiert, neu ausgelotet und kritisiert werden.

Sind die Rapper schuld am Echo-Aus?

Das die genannte Textpassage sowie viele weitere Zeilen Kollegahs und Farid Bangs und anderer Kollegen aus der Branche geschmacklos sind, steht außer Frage. Dennoch fallen sie im Grunde unter die Kunst- und Meinungsfreiheit. Aus diesem Grund stellte die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen die beiden Musiker auch ein: Der Song und das Album würden dem Genre des „Gangsta-Rap“ gerecht, womit auch die zitierte Textzeile von der Kunstfreiheit gedeckt sei. 

Selbst der Ethikbeirat des Branchenverbandes Musikindustrie entschied vor der Verleihung, dass die Rapper trotz der fragwürdigen Textzeile nominiert bleiben sollten. Ist es also sinnvoll, einen Musikpreis aufgrund eines Eklats aufzulösen?

Natürlich lässt sich diese Frage nicht einfach beantworten. Jeder hat dazu eine eigene Haltung und wenn eine ganze Generation, die sich mit der Sache verbunden fühlt und sich mit den Rappern oder anderen Musikern, die Teil der Preisverleihung waren, identifiziert, sich mit dem Thema auseinandersetzt, ist das nur zu befürworten. So entstehen Diskurse, die Werte in einer Demokratie immer neu verhandeln und ein harmonisches Zusammenleben bestenfalls fördern.

Eine Antwort auf die Frage könnte übrigens lauten: Jein. Das Ende des Echos hätte im Grunde schon früher verkündet werden können oder müssen, wären die Organisatoren in ihren Prinzipien tatsächlich konsequent. Denn 2013 wurde die Band Frei.Wild, der viele vorwerfen, Musik für Rechte zu machen, für den Echo nominiert. Auch hier protestierten viele andere Bands. Frei.Wild wurde von der Nominierungsliste gestrichen, mehr passierte aber nicht.

Das Problem beim Echo steckte vielleicht von Anfang an in seinen Kriterien: Die Verkaufszahlen entschieden über die Vergabe des Preises, nicht der künstlerische Wert der Musik oder etwa der Anspruch. Der Satiriker Jan Böhmermann äußerte sich zum Echo deshalb bereits 2017 mit den Worten, es handele sich bei der Veranstaltung um „seelenlose Kommerzkacke“. Wie auch immer: Der Echo in seiner alten Form gibt es nicht mehr und der deutsche Rap muss dafür herhalten.

 Musiker als Vorbilder

Mode, Film und Festivals

Die Rapmusik prägt eine ganze Generation von Hörern, vor allem junge Menschen aber nicht nur über die reine Musik. Nicht selten probieren sie ihre Kreativität auch in anderen Bereichen aus. Ein interessantes Feld ist hier die Mode. Auch die Rapmusik hat sich, früher als Subkultur, heute eher im Mainstream verortet, immer schon durch typische Kleidung von anderen Genres abgegrenzt. Die charakteristischen Outfits gehören als Identifizierungsmerkmal mit zu dieser Musikrichtung. Die Künstler versuchen sich deshalb auch gerne selbst als Designer. Noch nicht lange ist es her, da wurden die aktuellen Kollektionen von Farid Bang oder Xatar auf den Markt gebracht. Nicht nur Fans kaufen die angesagten Teile, um sich zu „ihrer“ Musik zu bekennen, der Street-Style ist mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen. 

Andere Musiker haben Ausflüge in die Filmbranche unternommen und sind unter anderem als Schauspieler aufgetreten. Dort dienen sie als Identifikationsfiguren. Zwar fliegen Filme, wie „Blutzbrüdaz“ mit Sido und „Zeiten ändern dich“ mit Bushido oder auch der schon 20 Jahre alte „Geschwister – Kardeşler“ mit Rap-Urgestein Kool Savas eher unter dem Radar, das Verhalten und Auftreten der Protagonisten beeindruckt dennoch viele Zuschauer und Fans.

Kultfilme, wie „How High“ mit Method Man und Redman mit dem legendären Soundtrack werden fortgesetzt. All das sorgt für Gesprächsstoff und eine permanente Auseinandersetzung mit der Materie. Der Rap- und Hip-Hop-Journalismus ist deshalb auch eine wachsende Branche, die davon profitiert, dass vor allem die jüngeren Generationen ein so großes Interesse an den Interpreten auch abseits deren Musikkarriere zeigen.

Bei alldem muss bedacht werden, dass die Musiker damit in gewissem Maße auch eine Vorbildfunktion für viele junge Menschen einnehmen. Selbst, wenn sie das gar nicht unbedingt möchten. Mit dem, was in den Texten gesagt wird, aber eben auch mit der Kleidung und den Produkten, mit denen sich Rapper in ihren Musikvideos und in Interviews schmücken, beeinflussen sie das Kauf- und Konsumverhalten ihrer Hörerschaft. 

Auch auf Festivals, wo die Musiker auf der Bühne vor den Fans stehen und in direkterem Kontakt stehen, zwischen den Songs Live-Statements ins Mikrofron sprechen und mit ihnen in einen Dialog treten, wird die Anhängerschaft stark beeinflusst. 

All diese Phänomene zwingen zwar nicht, aber fordern Künstler im Grunde dazu auf, sich mit ihrer Position als Meinungsbildner auseinanderzusetzen. Künstler müssen ihre Stimme nicht nutzen, um etwa politisch aktiv zu werden. Sind sie sich ihrer Macht allerdings bewusst, kann sie durchaus dazu verwendet werden, junge Menschen zum Nachdenken und Mitmachen zu bewegen.

Politik 

Im Zuge und als Reaktion auf die Chemnitz-Krawalle von Rechtsextremisten insbesondere am 26. und 27. August sowie am 1. September 2018, die absurderweise den Mord eines Linken mit Migrationshintergrund zum Anlass nahmen, als wütender Mob durch die Straßen zu ziehen, wurden einige deutsche Rapper aktiv. 

Der Musiker Capital Bra etwa veröffentlichte in seiner Instagram-Story einen Ausschnitt aus der Spiegel-Dokumentation „Hitlergrüße unterm Karl-Marx-Denkmal: Die Hintermänner der Chemnitz-Krawalle“ und kommentierte dazu„Ich habe keinen Bock, mir diese Scheiße weiter anzuschauen. Wir müssen auf jeden Fall was dagegen machen. Die überzeugen Leute, Ausländer zu hassen. Ich werde mit allem, was ich habe, bis zum letzten Atemzug machen, dass diese Leute untergehen, dass diese Leute unterdrückt werden, dass diese Leute nicht an die Macht kommen.“  Unter dem Hashtag #sagfuckzurassismus rief er weiterhin seine 1,8 Millionen Follower dazu auf, sich öffentlich gegen Fremdenfeindlichkeit zu positionieren. 

Capital Bra knüpft damit an andere Aktionen an, wie etwa #wirsindmehr, die ebenfalls nach den Ausschreitungen in Chemnitz als Zeichen für eine offene, vielfältige Gesellschaft, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gestartet wurde. Kritik wurde von vielen Seiten geübt, weil derlei Aktionen „bequemer Wohlfühlaktivismus“ seien und man auf die Straße gehen und sich engagieren müsse. 

Besser als gar nichts sind diese Aufrufe wohl dennoch, vor allem dann, wenn jüngere Generationen sich vorher kaum mit Politik befasst haben und anstelle der Lehrer oder oftmals eher missachteten Autoritätspersonen jetzt von ihren Idolen gesagt bekommen, dass manche Dinge es Wert sind, eine Meinung zu entwickeln und Stellung zu beziehen.

Besonders wirkungsvoll dürfte dies sein, wenn die Botschaft wiederum auf den ursprünglichen Boden, aus dem sich die Anhängerschaft entwickelt hat, übertragen wird, nämlich auf die Musik. So wurde unter erwähntem Hashtag #wirsindmehr am 3. September 2018ein Konzert in Chemnitz organisiert, zu dem rund 65.000 Zuschauer und Zuhörer kamen. Unter den auftretenden Künstlern waren auch die Rapper K.I.Z, Marteria, Nura, Casper und Trettmann, um gemeinsam mit den anderen zu zeigen, dass man nicht alleine sei und um sich gegen Rechts und für Menschenrechte stark zu machen.

Attitude und Coolness 

Auf die meisten jungen Menschen wirken Rapper vor allem cool. Ihre Attitude, also ihre Haltung (womit im Rap in der Regel nicht die Haltung in Bezug auf eine Sache, sondern die Ausstrahlung und das Auftreten in der Öffentlichkeit gemeint sind) ist meist locker, lässig und nicht selten ein wenig ignorant. Viele Rapper erzeugen eine Art imaginären Schild um sich, der nichts an sie heranlässt. Gegen Kritik sind sie immun, jedenfalls sagen sie das und strahlen sie das aus. 

Ihre Fans übernehmen neben der Mode und dem allgemeinen Verhalten oft auch diese Attitude und versuchen in jeder Situation cool zu sein. Gefährlich kann diese Einstellung dann werden, wenn „cool“ bedeutet, dass man sich in nichts mehr einmischt. Beobachtet man das Verhalten von einigen Rappern etwa in Interviews oder bei Auftritten, lässt sich nicht selten fast eine gewisse Angst davor wahrnehmen, uncool zu wirken oder etwas als uncool Auslegbares zu sagen. 

Coolness wandelt sich dann schnell in die Unterdrückung von Emotionen. Und cool sein bedeutet dann: Nicht mehr laut zu lachen, sich nicht mehr zu ärgern, nicht mehr wütend zu werden. Sondern eben cool zu bleiben und keine Gefühle zu zeigen. Denn: Das juckt einen ja alles nicht, man steht da einfach drüber.

Dass gerade jüngere Menschen, indem sie diese Attitude kopieren, aber nicht selten ihren Zugang zu ihren Emotionen verlieren oder sich keine Meinung mehr bilden, weil ja alles egal ist, ist vielen Rappern nicht bewusst. Oder es ist ihnen egal und sie weisen ihre Verantwortung von sich und an die Eltern der Kinder. Diese jedoch haben gerade bei Kindern aus sozial schwächerem Umfeld, aus dem wiederum auch viele Vorbilder aus dem Rap stammen, nicht selten kaum noch etwas zu sagen. Denn Kinder aus solchen Umfeldern entwickeln häufig sehr früh eine ausgeprägte Selbstständigkeit, suchen aber natürlich trotzdem Orientierung. Und finden diese meistens in der Populärkultur, in Film und Fernsehen, bei ihren großen Brüdern oder im Rap.

Die ewige Debatte um die Verrohung der Jugend

Hier schließt sich eine ganze Debatte an, die seit Jahren immer wieder neu verhandelt wird, dann abflacht und aufgrund diverser „Ausrutscher“ oder ganzer Skandale, wie jener um Kollegah und Farid Bang, wieder aufflammt. Deutscher Rap, so liest und hört man immer wieder, verrohe die Jugend. Es sind die Attitude und die Sprache der Rapper, es ist deren ganzes Gehabe, das vielen Eltern, Politikern aber auch unbeteiligten Menschen ohne Bezug zur Musikrichtung gegen den Strich geht. 

Es ist zu einfach, zu sagen, alles, was hart und böse klingt, ist schlecht. Auch lässt sich nicht „Deutscher Rap“ bewerten, weil er extrem vielfältig ist und die Inhalte der Texte genau wie die Einstellung und das Auftreten derer Verfasser weit auseinandergehen. Nicht ohne Grund gibt es unter Rappern so häufig Auseinandersetzungen: Jeder Künstler hat seine eigenen Vorstellungen davon, was Rap sein sollte, welche Werte er vermitteln muss und ob er überhaupt den Auftrag hat, Meinung zu bilden oder zu prägen. 

Der eine sagt: Rap heißt Coolness. Der andere sagt: Rap heißt Politik in Form von Sprechgesang. Der Dritte wiederum ist der Meinung: Rap ist Unterhaltung, die keine Grenzen kennen sollte. Alle diese Aussagen stimmen und stimmen nicht, weil jeder Künstler für sich selbst definieren kann, was Kunst bedeutet. Zumindest solange, wie durch die Kunst niemand anderes zu Schaden kommt.

Doch genau da scheint ja das Problem schon bei der Sprache anzufangen. Denn viele Eltern von Kindern, die Deutschrap hören, sind der festen Überzeugung, die Sprache der Rapper färbe auf die Kinder ab und deren Kommunikation verrohe mit der Zeit. Ihre Kinder nähmen also Schaden durch die Musik. In einem Punkt mögen sie mitunter definitiv richtig liegen. Nämlich in jenem, dass Rapper, wie etwa der Offenbacher „Haftbefehl“ den zukünftigen Duden mitprägen könnten und der Slang der Rapper somit offizieller Teil der Sprache wird. 

Dieser Ansicht ist etwa der Hip-Hop und Rap-Journalist Falk Schacht. Statt das zu kritisieren, nimmt er eine eher seltener gesehene Position ein und äußert sich im Online-Magazin Hiphop.de: „So wie die Dusche, die du benutzt, das ist kein deutsches Wort. Das ist eigentlich französisch. Genauso werden Babo und irgendwelche Begrifflichkeiten, die eben über Rap in die deutsche Sprache und von deutschen Jugendlichen (damit meine ich auch deutsche Jugendliche mit Migrationshintergrund) benutzt werden, in die deutsche Sprache eingefügt. Das finde ich gut und für mich ist Deutsch-Rap deutsch, ohne Problem.“

Der Publizist und Professor Doktor Sven Hanuschek, der für das Magazin „Noisey“ einige Texte deutscher Rapper aus literaturwissenschaftlicher Sicht betrachtet hat, vertritt eine ähnliche Ansicht. Seiner Meinung nach beeinflusse selbst der härtere Deutschrap die Sprachkultur eher in positiver Weise. Hanuschek zieht gar Vergleiche mit Autoren höherer Literatur: „Ich bin ja ein Fan von Arno Schmidt im Deutschen und James Joyce im Englischen, bei ihnen sind genau Wortspiel, Sprachspiel ungeheuer wichtig. Die expressionistische Lyrik macht das auch gelegentlich; bei Joyce ganz extrem, dort werden viele Sprachen gemischt – Finnegans Wake besteht zum Beispiel aus 40 Sprachen, mit der Grundsprache Englisch. Die Sprachenvielfalt finde ich auch bei Haftbefehl reizvoll.“

Bezüglich der Obszönitäten der Texte, bemerkt er zudem: „Anscheinend gehört es dazu, dass man dieses Sexismus-Gerede aufführt. Aber hat das noch ein provokantes Potenzial? Womit man Kunst und Lyrik unter anderem misst, ist ja, ob es Transgressionen gibt. Wird ein etabliertes Kunstmedium, etabliertes Sprechen in irgendeiner Weise überschritten? Das passiert natürlich dadurch, dass man Rahmen versetzt und provoziert, also zum Beispiel Obszönitäten verwendet, politische unkorrekte Rede führt und so weiter. Nur ist das hier im Rap ja die eingeführte Rede, insofern wird doch nichts mehr überschritten. Die Frage ist dann natürlich, warum man den Diskurs weiterführen muss, wenn es sowieso nicht mehr provokant ist – etabliere ich dann nicht wieder Sexismus als „üblich“?“

Letztlich verhandeln Debatten wie Besagte immer die Frage nach dem Auftrag und der Freiheit der Kunst. Dass gewisse Ausdrücke aus dem Deutschrap in die „Alltagssprache“ vor allem vieler jüngerer Deutscher eingegangen sind, ist unabwendbar. Es lässt sich kritisieren, aber nicht ändern. 

Ähnlich verhält es sich mit dem Auftreten der Rapper, ihrer Attitude, den Inhalten ihrer Texte. Statt eine wahrgenommene vermeintliche Verrohung der Jugend auf eine Subkultur zu schieben (eine empirische Studie, die eine Verbindung zwischen ausgeübter Kriminalität und deutschem Rap herstellen konnte gibt es übrigens bislang nicht), dürfte es sinnvoller sein, zu schauen, welche Alternativen man Jugendlichen bieten kann, die nach Zugehörigkeit suchen. Oder ob es nicht in den Bereichen, für die sie ein gesteigertes Interesse zeigen, doch auch Alternativen zum Gangster-Gehabe und zur Emotionslosigkeit gibt.

Rap als Kunst- und Therapieform

Der Frage, ob Deutschrap nicht dabei helfen kann, Probleme zu bewältigen, statt neue zu schaffen, bestehende zu verstärken oder sie in andere umzumünzen, hat sich unter anderem Nico Hartung gewidmet. Er ist nicht nur Szenekenner und selbst als Rapper unter dem Pseudonym „Quadosch“ aktiv, sondern auch Sozialpädagoge und Sozialmanager und Gründer des Jugendprojekts „Tuned“. Mit dem Projekt will er Jugendlichen und Flüchtlingen mit Rap-Ambitionen eine Plattform und die Möglichkeit bieten, sich gewaltfrei auszuleben. 

Seiner Meinung nach könne „Rap als Ventil benutzt und damit Probleme bearbeitet werden“. Hartung kenne selbst Jugendliche, die mit Hilfe der Musik aus ihren Schwierigkeiten ausgebrochen sind, ihr Deutsch verbessert und ihren Drogenkonsum eingestellt haben. In einigen Texten von Deutschrappern, denen sonst ein eher schlechter Ruf anhängt, geht es sogar genau um diese Dinge. Sogar der so kontrovers diskutierte und hart kritisierte Kollegah, der übrigens auch ein Jurastudium absolviert hat, motiviert seine Zuhörer im Song „Du bist Boss“ dazu, sich selbst nicht gehen zu lassen und sich anzustrengen, um nicht auf die schiefe Bahn zu geraten:

„Wenn du Ausländer bist und dein Freundeskreis dir sagt

Für uns gibt’s nur die schiefe Bahn, wir haben in Deutschland keine Wahl

Und du trotzdem alles gibst um den ehrlichen Weg zu gehen

Und du vor den Büchern sitzt, während sie Zeug verteilen im Park“. 

Kaum ein Beispiel könnte es besser verdeutlichen: Deutscher Rap mit seinen Vertretern prägt eindeutig eine, oder auch mehrere Generationen. Er kann Sprachrohr und Antenne für junge Menschen sein, die nach Zugehörigkeit suchen. Dabei kann er hart sein, Aggressionen schüren und Beleidigungen verbreiten. Er kann aber auch positive Werte und Inhalte vermitteln und Halt geben. 

Es kommt immer darauf an, wie er verhandelt wird, wie Kunst im Allgemeinen betrachtet und auf welche Interpreten der Blick gerichtet wird. Was in der heutigen Zeit niemand mehr abstreiten kann, ist, dass Diversität in der Szene besser ist, als eine Homogenität, in der alles gleich klingt und es keine Widersprüche gibt, die zu Diskursen führen.

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